Kann Bitcoin Palästinas Währung der Freiheit sein?

Aus dem Original “Can Bitcoin Be Palestine´s Currency of Freedom“ von Alex Gladstein, erschienen am 22. Juli 2021 im Bitcoin Magazine. Übersetzt von stfano, Lektorat durch DerGeier.


Bitcoin gibt den Palästinensern einen wirkungsvollen Weg für friedlichen Protest und die Möglichkeit, Souveränität inmitten einer repressiven Wirtschaftspolitik zu erlangen.

Letzte Woche sprach ich mit einem Bitcoin-Nutzer im Gaza-Streifen.

Da unser Gespräch für ihn ein großes persönliches Risiko darstellte, bat er darum, anonym zu bleiben, und gab sich den Namen Uqab – das arabische Wort für „Adler“.

Wir benutzten dafür Telegram und mussten unser Gespräch zeitlich abstimmen, da Uqab nur ein paar Stunden Strom pro Tag hat. Für ihn fand unser Gespräch mitten in der Nacht statt. Ein palästinensischer Freund half bei der Live-Übersetzung des Gesprächs. Während wir sprachen, war es kaum vorstellbar, wie das Leben am anderen Ende der Leitung aussah.

Uqab sprach mit uns aus Rafah, einer Stadt im südlichen Teil des Gazastreifens – einem Kriegsgebiet, das nur wenige Wochen zuvor durch das israelische Militär schwer bombardiert wurde. Ich hatte das Gefühl, mit jemandem von einem anderen Planeten zu sprechen.

Er sprach von zerstörten Straßen, pulverisierten Gebäuden, Stromausfällen und eingeschränkter Versorgung. Eine Karte der israelischen Raketeneinschläge lässt Gaza wie einen Schweizer Käse aussehen und gibt einen Eindruck von den strukturellen Schäden.

Uqab bat mich, darüber nachzudenken, wie schlecht die wirtschaftliche Lage auf der ganzen Welt, sogar in den USA, aufgrund der Pandemie und der darauf folgenden Lockdowns ist, und sagte: „Nun stell dir vor, wie es bei uns war.“

I. EIN KONTROLLPUNKT, DER IMMER OFFEN IST

Der Gazastreifen ist ein etwa fünf Meilen breites und 28 Meilen langes Gebiet, das zwischen Israels südwestlicher Ecke, dem ägyptischen Sinai und dem Mittelmeer liegt. Ursprünglich war der Gazastreifen eine palästinensische Gemeinde, die nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 von Flüchtlingen aus dem heutigen Israel überschwemmt wurde. Heute ist der Gazastreifen einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt. Gaza ist weniger als halb so groß wie Austin in Texas, hat aber mehr als doppelt so viele Einwohner – so wie Hongkong, aber umgeben von einer Wüste und mit einer bröckelnden Infrastruktur.

In den letzten vier Jahrzehnten haben die zwei Millionen Einwohner – die Hälfte davon ist unter 18 Jahren alt – unter einem nahezu vollständigen Zusammenbruch der Zivilisation gelitten.

Im Jahr 2006 gewann die Hamas – die Israels Existenzberechtigung nicht anerkennt und mit dem Ziel gegründet wurde, Israel zu vernichten – die palästinensischen Wahlen, was weitgehend als eine Protestwahl gegen die extreme Korruption und Unfähigkeit der seit der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde zwölf Jahre lang regierenden Fatah-Partei galt. Die Wahlen wurden von vielen internationalen Akteuren als nicht rechtmäßig angesehen – zum Beispiel betrachten die USA und die EU die Hamas als terroristische Vereinigung – und die Fatah klammerte sich an die Macht im Westjordanland. Die Bewohner des Gazastreifens fielen unterdessen unter die autoritäre Herrschaft eines islamistischen Polizeistaates. Als Vergeltungsmaßnahme riegelten die israelische und die ägyptische Regierung im Jahr 2007 den Gazastreifen von der Außenwelt ab.

Ein 15-Jähriger, der heute in Gaza lebt, hat vier große Kriege zwischen den israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) und der Hamas überlebt, von denen der letzte erst zwei Monaten her ist.

Zwischen dem 10. und 21. Mai dieses Jahres feuerte die Hamas mehr als 4.300 Raketen auf israelische Städte und Gemeinden ab, woraufhin die IDF mit mehr als 1.500 Raketen antworteten. Diese Schlacht war die schwerste zwischen den beiden Parteien seit 2014. Ein im vergangenen Monat veröffentlichter UN-Bericht schätzte den Schaden auf 280 bis 380 Millionen Dollar und rechnete für den Wiederaufbau mit einem Budget von etwa 345 bis 485 Millionen Dollar. Inmitten der Trümmer haben 800 000 Menschen im Gazastreifen nach wie vor keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Sie können offiziell nur über zwei Kontrollpunkte in die Außenwelt gelangen, die während der Gewaltausbrüche auch immer mal wieder auf- und zugemacht wurden.

Im Jahr 2012 veröffentlichten die Vereinten Nationen ein Dokument, in dem sie vorhersagten, dass der Gazastreifen bis 2020 „unbewohnbar“ sein würde. Diese Vorhersage ist tragischerweise richtig. Einem vor zwei Wochen veröffentlichten Bericht der Weltbank zufolge lag die Arbeitslosenquote im Gazastreifen bereits vor den jüngsten Bombardierungen bei 48 %, bei den unter 30-Jährigen sogar bei 64 %. Jeder zweite Bewohner des Gazastreifens – darunter mehr als 400.000 Kinder – lebt in Armut und mehr als 80 % der Haushalte sind auf Lebensmittelhilfen oder irgendeine Art von Sozialhilfe angewiesen.

Laut einem Bericht des IWF aus dem Jahr 2017 wurden durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas Ende 2008 mehr als 60 % des Kapitalbestands des Gazastreifens zerstört. Die Bombardierungen im Jahr 2014 zerstörten dann 85 % des verbliebenen Kapitals. In den 25 Jahren zwischen 1994 und 2018 ist das reale Pro-Kopf-BIP im Gazastreifen um 44 % gesunken, wobei das Durchschnittseinkommen der Bewohner des Gazastreifens von 96 % auf nur 30 % des Durchschnittseinkommens ihrer Kollegen im Westjordanland gesunken ist. Und das alles, obwohl die Geburtenrate mit heute mehr als 3,5 Kindern pro Familie eine der höchsten der Welt ist – 1990 waren es noch fast sieben Kinder pro Familie.

Die Auslandsinvestitionen in Gaza sind von 11 % des gesamten palästinensischen BIP im Jahr 1994 auf nur noch 2,7 % im Jahr 2018 zurückgegangen. Nach dem Krieg zwischen der Hamas und Israel von 2008 bis 2009 wurden schätzungsweise mehr als 90 % der Fabriken im Gazastreifen geschlossen. Die extremen Beschränkungen des Handels mit Israel forderten einen hohen Tribut. Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen arbeitet nur noch mit einem Bruchteil seiner Kapazität, da nicht genügend Brennstoffe und Bauteile importiert werden können. Der Agrarsektor ist zusammengebrochen, da die Landwirte ihren wichtigsten israelischen Absatzmarkt verloren haben und gezwungen waren, an die viel kleinere Bevölkerung im Gazastreifen zu niedrigeren Preisen zu verkaufen. In einigen Fällen mussten sie ihre Ernten vernichten.

Im Jahr 2020 wird in einem UN-Bericht den Tatsachen widersprechend angenommen, dass die Bewohner des Gazastreifens nach 2006 keinen zusätzlichen Beschränkungen unterworfen wären und stattdessen die Wirtschaft des Gazastreifens in gleichem Maße wie die des Westjordanlandes wachsen würde. In dieser „Traumwelt“ wäre das Pro-Kopf-Einkommen um 105,5 % höher und würde 1.539 Dollar erreichen. Stattdessen liegt es heute – in dem realen Albtraum, in dem die Menschen in Gaza leben – deutlich unter 1.000 Dollar.

Die wirtschaftliche Katastrophe des Gazastreifens ist nicht erst jetzt aufgetreten. Sie ist auch nicht einfach das Ergebnis der letzten 15 Jahre Krieg und Autoritarismus. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer Politik, die vor vielen Jahrzehnten begann. 1987 veröffentlichte die Harvard-Wissenschaftlerin Sarah Roy eine bahnbrechende Arbeit, in der sie auf der Grundlage jahrelanger Feldforschung und Interviews die wirtschaftlichen Einbußen der zwanzigjährigen militärischen Besetzung des Gazastreifens seit 1967 beleuchtete. Um dies zu beschreiben, prägte sie einen neuen Begriff: „De-Development“ (“Rückentwicklung”). Dabei handelt es sich um die „absichtliche, systematische und fortschreitende Zerstückelung einer einheimischen Wirtschaft durch eine dominante Wirtschaft, bei der das wirtschaftliche – und damit auch das gesellschaftliche – Potenzial nicht nur verzerrt, sondern vorenthalten wird“.

Die Einkommen und die Wirtschaftsleistung des Gazastreifens stiegen von 1967 bis 1987 erheblich an, was auf die Überweisungen von Geld zurückzuführen war, das mit Arbeit in Israel und im Ausland verdient wurde. Roy stellte jedoch fest, dass dieser Kapitalfluss größtenteils zum Kauf von Konsumgütern aus Israel verwendet wurde, wobei Mitte der 1980er Jahre zwei Drittel des verfügbaren Einkommens in den privaten Konsum flossen. Dies führte zu einem „verstärkten Konsumverhalten im Gazastreifen, ohne dass der wirtschaftliche Nutzen dieses Konsumverhaltens dem Gazastreifen zugute kam.“

Roy stellte fest, dass der hohe Prozentsatz an Arbeitskräften aus dem Gazastreifen in Israel kein Zeichen für eine Gesellschaft ist, „die die typischen Muster beim Prozess der Industrialisierung (oder Modernisierung) durchläuft, bei dem sich die Arbeit allmählich von landwirtschaftlichen auf nicht-landwirtschaftliche Tätigkeiten verlagert, vielmehr ist die Entscheidung der Arbeitskräfte aus dem Gazastreifen, eine Beschäftigung in Israel zu suchen, auf den Mangel an vergleichbaren Optionen innerhalb der heimischen Wirtschaft des Gazastreifens zurückzuführen.“ 1987 konnte Roy feststellen, dass die charakteristischen Merkmale der Wirtschaft des Gazastreifens „die Erosion der eigenen wirtschaftlichen Basis und die daraus resultierende Abhängigkeit von Israel“ waren.

1991 setzte der israelische Verteidigungsminister Moshe Arens den Sadan-Ausschuss ein, der untersuchen sollte, wie die Wirtschaft des Gazastreifens verbessert werden könnte. Das Fazit war sehr aufschlussreich: „Bei der Förderung der wirtschaftlichen Interessen der [palästinensischen] Bevölkerung lag der Schwerpunkt auf den Arbeitnehmern und auf befristete Arbeit. Bei den Arbeitnehmern wurde eher darauf geachtet, dass sich ihr Einkommen durch die Beschäftigung in der israelischen Wirtschaft erhöht. Nur selten entschied sich die Politik für die Entwicklung einer Infrastruktur und die Schaffung von Fabriken und Arbeitsplätzen im Gazastreifen selbst. Der Förderung des lokalen Unternehmertums und des Wirtschaftssektors im Gazastreifen wurde keine Priorität eingeräumt. Darüber hinaus entmutigten die Behörden solche Initiativen immer dann, wenn sie auf dem israelischen Markt mit bestehenden israelischen Firmen zu konkurrieren drohten.“

Die erschütternde Notlage der Bewohner des Gazastreifens ist also das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik von Außen. Zunächst waren es die erzwungene Abhängigkeit von der israelischen Wirtschaft und die Entmutigung der souveränen industriellen Entwicklung unter der israelischen Militärbesatzung. Dann wurde diese wirtschaftliche Lebensader geschlossen, da den Menschen im Gazastreifen im Laufe der Zeit verboten wurde, in Israel zu arbeiten, und sie schließlich von der Außenwelt abgeschnitten wurden. Letztlich wurde noch ihre Infrastruktur durch den Krieg zerstört.

Vor einigen Wochen schickte die Biden-Administration Außenminister Antony Blinken ins Westjordanland, um sich mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmood Abbas zu treffen und ihm 75 Millionen Dollar an neuer Hilfe für den Wiederaufbau des Gazastreifens zuzusagen. Die Geschichte der Region zeigt jedoch, dass ein Großteil dieser Geschenke in die Taschen der Eliten fließt und nicht dazu beiträgt, das Leben des Durchschnittsbürgers zu verbessern. Hilfe allein kann das Absterben des Kapitalbestands nicht aufhalten.

Trotz alledem zeigen die Menschen im Gazastreifen eine unglaubliche Beharrlichkeit. Ein Ladenbesitzer namens Ashraf Abu Mohammad wurde vor einigen Wochen von Reuters wie folgt zitiert: „Das Leben wird zurückkehren, denn dies ist nicht der erste Krieg und wird auch nicht der letzte sein. Das Herz schmerzt, es gab Katastrophen, Familien wurden aus dem Melderegister gestrichen, und das macht uns traurig, aber wir müssen Geduld bewahren, denn das ist unser Schicksal in diesem Land“.

Aber die Geduld hat ihre Grenzen. Als ich mit Uqab sprach, war klar, dass er nicht ewig warten würde. Er sagte mir, er wolle fliehen und ein besseres Leben für seine Familie aufbauen. Und durch Bitcoin hat er einen Ausweg gefunden.

Er sagte, dass die Nachfrage nach Bitcoin in Gaza in den letzten zwei Jahren gestiegen ist, vor allem bei den Jugendlichen. Die Menschen im Gazastreifen mögen physisch eingeschlossen und wirtschaftlich von der Außenwelt abgeschnitten sein, aber Uqab bezeichnete Bitcoin als „einen Kontrollpunkt, der immer offen ist“.

„Er hat einigen Menschen ermöglicht, die Armut zu überwinden“, sagte er. „Sie investieren allmählich, nach und nach, aber es funktioniert.“ Er sagte sogar, dass die Menschen im Gazastreifen in letzter Zeit „den Dip gekauft“ haben und ihre Käufe zunahmen, als der Bitcoin-Preis fiel.

Einige erhalten Bitcoin direkt über Handy-Apps von Freunden oder Verwandten im Ausland. Andere nutzen Telegram-Gruppen, um persönliche Treffen zum Tausch von Bargeld gegen Bitcoin zu koordinieren, oder sie tauschen Bargeld in konventionellen Läden gegen Bitcoin ein. In diesen Geschäften, so Uqab, nehmen die Behörden einen Anteil und führen Listen darüber, wer kauft und verkauft. Bisher sei noch niemand wegen der Verwendung von Bitcoin verhaftet worden, sagte er. Um Bitcoin auf ihren Handys aufzubewahren, können die Gazaner dies über ein Depot von Binance oder Payeer übernehmen lassen (custodial) oder mit der Blue Wallet, die arabische Sprachunterstützung bietet, die Bitcoin selbst verwahren (non-custodial).

Trotz der Warnungen der Behörden schließen sich jeden Tag mehr Menschen aus Gaza dem Bitcoin-Netzwerk an.

„Wir haben ein Sprichwort“, sagte Uqab: „Wenn die Regierung sagt, dass etwas haram ist, bedeutet das, dass es halal ist.“

Wir sprachen über eine Menge Dinge: Warum Uqab Bitcoin dem Schekel vorzieht (alles in Gaza wird überwacht, aber man könnte eine Menge Bitcoin besitzen und die eigene Familie würde es nicht einmal merken); ob die IDF oder die Hamas die Menschen von der Nutzung von Bitcoin abhalten können („Dafür sind wir zu schlau, wir werden immer einen Ausweg finden“); ob Satoshi vorhersagen hätte können, dass Bitcoin von Menschen in Gaza benutzen werden würde („Definitiv nicht“); ob Uqab davon gehört hatte, dass El Salvador Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel macht (das war ein großer Gewinn, sie jubelten, als sie die Nachricht hörten); ob die Gazaner Bitcoin schneller annehmen könnten als die Israelis (sie sind vielleicht nicht so risikobereit wie die Gazaner); und was mit dem Bankensystem nicht stimme („Wir alle wissen, dass es sündhaft ist, von Leuten, denen man Geld leiht, Zinsen zu verlangen“).

In Gaza, so sagte mir Uqab, gibt es kein Venmo, kein PayPal und keine einfache Möglichkeit, Transaktionen mit der Außenwelt durchzuführen. Die finanzielle Infrastruktur bricht genauso zusammen wie die physische und soziale. Aber heute kann er mit Bitcoin tun, was früher unmöglich war: Geld an seine Familie im Ausland senden und von ihr empfangen – schnell, direkt und nahezu ohne Gebühren.

Für internationale Zahlungen, so Uqab, musste der Übersender eines Geldbetrages in den Golfstaaten oder den USA bisher Geld über ein Bankkonto in einem Land wie China oder Thailand senden, bis das Geld schließlich in einem Währungsbüro in Gaza landete.

„Viele Mittelsmänner würden sich ihren Anteil nehmen“, sagte er, so dass der Empfänger nur einen Prozentsatz des ursprünglich überwiesenen Betrags erhalte. Außerdem seien die Western-Union-Büros heute dazu übergegangen, einen Nachweis über die Blutsverwandtschaft zu verlangen, und es komme häufig zu Verhören und Beschlagnahmungen.

„Mit Bitcoin“, sagte Uqab, „muss ich keine Tests bestehen oder irgendwelche Kästchen ankreuzen. Ich kann ihn einfach benutzen.“

Heute kann Uqab direkt und grenzüberschreitend Geld erhalten oder verdienen und in einem neuen Finanzsystem seine eigene Bank sein.

„Es ist so viel besser“, sagte er und erzählte mir stolz, dass er sich zumindest auf einer gewissen Ebene „auf Augenhöhe“ (“peer-to-peer”) mit anderen in der Welt fühlt.

„Mit Bitcoin kommen wir mit unserem Leben weiter“, sagte er. „Inshallah, immer mehr Palästinenser werden diese Technologie entdecken.“

Uqab war noch nicht in der Lage, den Gazastreifen zu verlassen. Aber zumindest kann er zum jetzigen Zeitpunkt im Cyberspace sparen und sein Geld vor den Behörden in Sicherheit bringen. Das ist eine große Innovation, die die Palästinenser dringend brauchen.

In der ständigen Berichterstattung über ihr politisches Leiden – gefangen in der israelischen Militärbesatzung, den Terrortaktiken der Hamas, der korrupten Palästinensischen Autonomiebehörde und einer weitgehend gleichgültigen Welt – bleibt ihre finanzielle und wirtschaftliche Situation oft unerwähnt. Doch Geld ist die eigentliche Wurzel ihres Kampfes.

Die Palästinenser haben keine Kontrolle über ihre Währung. Der Mangel an wirtschaftlicher Souveränität hat ihren Wachstum und ihre Zukunftsaussichten stark beeinträchtigt. Aber es gibt viele wie Uqab, die sich Bitcoin zuwenden, um sich finanzielle Freiheit zu verschaffen.

II. EINE GESCHICHTE DER FINANZIELLEN REPRESSION

Mehr als 30 Jahre nach ihrem Aufsatz über den Gazastreifen aus dem Jahr 1987 stellte Sarah Roy fest, dass „die Ereignisse die Palästinenser auf ein humanitäres Problem reduziert haben – bezüglich politischer und wirtschaftlicher Rechte benachteiligt (und unwürdig) sowie abhängig von der internationalen Gemeinschaft, wenn es um ihren Lebensunterhalt geht -, wobei nicht Fortschritt, sondern Hilfe sich als wichtigste, wenn nicht sogar als die einzige politische Option herausstellt.“ Sie schrieb, dass „die Palästinenser meinen, dass die Zukunft nur noch schlechter werden kann“.

Viele Gründe für diese Verzweiflung hängen mit der finanziellen und wirtschaftlichen Situation der Palästinenser zusammen, in der sie stark von der Außenwelt abhängig und gleichzeitig von ihr abgeschnitten sind. Doch das Thema Geld selbst wird im gegenwärtigen Diskurs marginalisiert und manchmal ignoriert. In einem ausführlichen, mehrseitigen Bericht über Israel und Palästina, der im April 2021 von Human Rights Watch veröffentlicht wurde, bleiben die Themen Währung, Bankwesen, Geldüberweisungen und Handel praktisch unerwähnt. Das Pariser Protokoll – ein enorm wichtiges Dokument, das 1994 unterzeichnet wurde und noch immer die Regeln für Geld und Wirtschaft für die Palästinenser festlegt – fehlte völlig.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, müssen wir weitere Fragen stellen. Warum ist die palästinensische Wirtschaft so abhängig von der israelischen Wirtschaft? Warum verwenden die Palästinenser den Schekel und nicht ihre eigene Währung? Warum können Palästinenser nicht auf einfache Art und Weise bei Amazon Waren bestellen oder Geld aus dem Ausland erhalten? Um mehr darüber zu erfahren, sprach ich mit dem palästinensischen Politökonomen Alaa Tartir.

Tartir, der heute mit seiner Familie in der Schweiz lebt, wurde in Ramallah geboren und verdankt sein Interesse am Geld seiner Zeit als arbeitender Jugendlicher. Als er 14 Jahre alt war, legte er lange Schichten in einem Lebensmittelladen ein, um seine Familie zu unterstützen und für seine Ausbildung zu sparen. Er sah nichts als selbstverständlich an und war völlig selbständig. Das motivierte ihn, sieben Jahre lang weiter zu arbeiten, bis er sein Studium in Finanz- und Rechnungswesen abschloss.

Währenddessen wuchs er mit dem Studium des Wirtschaftssystems um ihn herum auf. Er sagte, er hatte „mit Aristokraten und Eliten zu tun“ und begann zu verstehen, wie die Palästinensische Autonomiebehörde ihre Position ausnutzte und Hilfsgelder und andere Einnahmen abschöpfte, um sich selbst zu bereichern, während sie mit der israelischen Regierung unter einer Decke steckte und den durchschnittlichen Palästinenser im Regen stehen ließ.

Tartir führte mich durch die wirtschaftliche und monetäre Geschichte des modernen Palästinas, die normalerweise ignoriert wird oder zumindest gegenüber der bekannteren politischen Geschichte eine untergeordnete Rolle spielt.

„Sie ist im Grunde genommen nicht wahrnehmbar“, sagte er, „obwohl die Dominanz des israelischen Akteurs über den palästinensischen Akteur in allem verankert ist – von der Verwendung des Schekels über die Art und Weise, wie die israelische Regierung unser Einkommen im Ausland einzieht, bis hin zur Tatsache, dass wir keine Zentralbank haben.“

Er meinte, Geld sei wohl die treibende Kraft, warum die Palästinenser heute dort sind, wo sie sind, wo Besatzung, Korruption und Krieg zu Rückentwicklung, zivilisatorischer Stagnation und der Erosion des Kapitalbestands geführt haben.

Wir begannen in den Jahren nach dem Beginn der israelischen Militärbesatzung im Jahr 1967, als die israelische Politik den Palästinensern aus wirtschaftlicher Sicht zunächst zu helfen schien. Der Handel mit anderen arabischen Ländern öffnete sich. Außerdem konnten die Palästinenser zunehmend in Israel zu höheren Löhnen arbeiten, als sie in ihrer Heimat verdienen konnten.

Doch dahinter steckte ein größeres Ziel. In den 60er, 70er und 80er Jahren schuf die israelische Regierung ein Besatzungssystem, das Anreize für die Palästinenser schuf, in Israel zu arbeiten, sie aber daran hinderte, eine Produktionsbasis aufzubauen, was die Abhängigkeit von israelischen Importen erhöhte. In den zwei Jahrzehnten von 1968 bis 1987 sank der Anteil der Industrie am BIP in den besetzten palästinensischen Gebieten (BPG; Westjordanland, Ostjerusalem und Gazastreifen) von 9 % auf 7 %. Im Jahr 1970 gab es in den BPG 59.000 Landarbeiter, die 5,4 % der Bevölkerung ausmachten, 1993 waren es nur noch 54.000 oder 2,3 % der Bevölkerung.

Tartir erläuterte, dass man in den 1970er und 1980er Jahren fast vollständig von Israel abhängig war, da die israelischen Produkte mehr als 90 % der BPG-Importe ausmachten, was die Palästinenser nach den Amerikanern zum zweitgrößten Käufer israelischer Waren machte. Der israelische Wirtschaftswissenschaftler Shir Hever schrieb: „Die Heimatüberweisungen palästinensischer Arbeiter wurden die Haupteinkommensquelle der Palästinenser. 1974 war bereits ein Drittel der palästinensischen Arbeitskräfte in Israel beschäftigt. Viele palästinensische Bauern gaben ihr Land auf, um in Israel zu arbeiten, und die israelischen Behörden nutzten dies aus und konfiszierten Land, das für eine bestimmte Zeit unbewirtschaftet blieb.“ Dies zeigt sich daran, dass „die palästinensische landwirtschaftliche Produktivität von 53 % des BIP im Jahr 1967 auf 13 % Ende der 1980er Jahre stark zurückgegangen ist“.

Mitte der 1980er Jahre begann sich das palästinensische Wirtschaftswachstum zu verlangsamen. Ein Einbruch des Ölpreises und die extreme Inflation in Israel ließen die palästinensischen Geldüberweisungen aus dem Ausland einbrechen. Nachdem die politische Enttäuschung riesig und die steigende Lebensqualität ins Stocken geraten war, erhoben sich die Palästinenser im Jahr 1987 in einer dezentralisierten Bewegung mit dem Ziel der Selbstbestimmung, die als Intifada bekannt wurde.

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Tariq Dana war die Intifada ein „Wirtschaftskrieg“ in zwei Teilen: „Der erste Teil zielte darauf ab, die israelischen Wirtschaftsinteressen in den BPG durch Taktiken des zivilen Ungehorsams zu schädigen, wie Handelsstreiks, Steuerverweigerung, Boykott israelischer Produkte und Arbeitsverweigerung auf israelischen Märkten und in israelischen Siedlungen. Der zweite Teil bestand darin, dass die Palästinenser inländische Modelle der Haushalts- und Nachbarschaftswirtschaft einführten, um ihr Überleben und ihre Selbstversorgung zu sichern.“

Anfänglich, so Tartir, profitierte die israelische Regierung von der Besatzung. Die Steuereinnahmen überstiegen die Ausgaben; Israel wurde von Niedriglohnarbeitern überschwemmt; es erhielt einen Eigenbedarfsmarkt für minderwertige Exporte und es konnte die natürlichen Ressourcen der BPG zu Preisen unterhalb des Marktpreises ausbeuten. Die Intifada führte dazu, dass die Besatzung für Israel sehr viel teurer wurde – nach den frühen 1990er Jahren wurden keine Gewinn mehr erwirtschaftet und es wurde zu einem kostspieligen Unternehmen -, aber der Aufstand führte nicht zu einer wirklichen Unabhängigkeit der Palästinenser.

III. DAS PARISER PROTOKOLL

Am 29. April 1994 trafen sich Delegierte der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der israelischen Regierung in Frankreich, um ein selten diskutiertes Dokument zu unterzeichnen, das „Protokoll über Wirtschaftsbeziehungen“, auch bekannt als das „Pariser Protokoll“.

Dieses Treffen war Teil des Oslo-Abkommens – eines international unterstützten Friedensprozesses, durch den die Palästinenser politische Autonomie erhielten. Oslo kennzeichnete das Ende der Intifada und den Beginn der Palästinensischen Autonomiebehörde (Palestinian Authority, PA) und ihrer Methode zum Aufbau eines funktionierenden Staates. Das Zeitalter der Auslandshilfe für Palästinenser wurde eingeläutet, während die Geber zuvor gezögert hatten, Israel als reine Besatzungsmacht zu finanzieren. Ganz besonders bemerkenswert ist, dass der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Yassir Arafat sowie die israelischen Premierminister Shimon Peres und Yizhak Rabin den Friedensnobelpreis für ihre „Bemühungen um Frieden im Nahen Osten“ erhielten.

Warum sollte die israelische Regierung die vollständige Kontrolle über die BPG aufgeben, die sie seit 25 Jahren innehatte? Der palästinensische Widerstand und der internationale und nationale Druck waren natürlich die Hauptfaktoren, aber Tartir glaubt, dass ein Hauptgrund darin bestand, dass man der PLO durch die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde politische Autonomie „schenken“ konnte, während man gleichzeitig hinter den Kulissen durch das Pariser Protokoll die wirtschaftliche Kontrolle behielt.

Noch heute wird die palästinensische Geld-, Steuer-, Agrar-, Versicherungs-, Industrie- und Arbeitspolitik sowie der Tourismus und Handel mit Israel durch das Pariser Protokoll geregelt. Es sollte den palästinensischen Handel ankurbeln, der Palästinensischen Autonomiebehörde den Aufbau eines formellen öffentlichen Sektors ermöglichen, Steuereinnahmen von ihren Bürgern generieren und die Beschäftigungsmöglichkeiten verbessern.

Nach Ansicht von Tartir hat der Oslo-Prozess jedoch nur eine Konsumkultur und eine größere Abhängigkeit gefördert. „Individuelle Freiheit und wirtschaftliche Souveränität“, so Tartir, „wurden von Arafat und seinen Kumpanen für ihre persönliche Bereicherung geopfert“.

Das Protokoll sollte befristet sein – auf nur für fünf Jahre bis 1999 -, ist aber auch 28 Jahre später noch in Kraft. Das Dokument legte fest, dass die Palästinenser weder eine Zentralbank noch eine eigene Währung haben sollten. Stattdessen sollten sie die „Palästinensische Währungsbehörde“ (Palestinian Monetary Authority, PMA) bekommen, deren Name irreführend war, weil sie keine Befugnisse hatte.

Israel würde die palästinensische Geldpolitik und das Bankensystem kontrollieren. Der israelische Neue Schekel würde im Westjordanland und im Gazastreifen als gesetzliches Zahlungsmittel vorgeschrieben. Die Banken würden Einlagen und Kredite in Schekel benennen. Die PMA hätte einen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Mindestreserveanforderungen, aber kaum etwas anderes. Jede Änderung dieses Systems würde ein Votum des Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses (Joint Economic Commission, JEC) erfordern – einer Organisation, die im Laufe der Jahre in einen Ruhezustand und unter die Kontrolle Israels fiel.

Mit der Unterzeichnung des Pariser Protokolls zementierte die israelische Regierung folgende Punkte:

  • Die Kontrolle über die Höhe der Zölle, der Mehrwertsteuer und der Einfuhrsteuern, die auf Waren erhoben werden, die in das Westjordanland oder den Gazastreifen gelangen, sowie die Einbehaltung einer 3-prozentigen „Bearbeitungsgebühr“ für Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde.
  • Die Möglichkeit, palästinensische Waren künstlich zu verteuern, so dass sie nicht mit israelischen Waren konkurrieren können, wodurch die Palästinenser zu Importen gezwungen werden und Israel einen spezialisierten Markt für den Export von Waren mit hoher Gewinnspanne und niedriger Qualität erhält, die anderswo nicht verkauft werden können.
  • Die Kontrolle über die Handelspolitik, die Israel ein Vetorecht darüber einräumt, welche Waren in das Westjordanland oder den Gazastreifen gelangen, wodurch alle Güter mit „doppeltem Verwendungszweck“, die vom Militär genutzt werden könnten, einschließlich Medizin und Treibstoff, limitiert werden. Dies wird mit Hilfe der ägyptischen Regierung durchgesetzt.
  • Die Möglichkeit, von Palästinensern, die in Israel oder in den Siedlungen arbeiten, Einkommenssteuern und soziale Abgaben zu erheben, die die israelische Regierung einmal im Monat an die Palästinensische Autonomiebehörde „abführt“, was es ihr ermöglicht, Zahlungen zu verzögern, Zinsen auf das Kapital in ihrem Bankensystem zu erheben und es sogar zur Begleichung von Schulden zu verwenden.
  • Von den palästinensischen Arbeitnehmern wurden Sozialversicherungsabgaben, Gewerkschaftsbeiträge und Sicherheitssteuern erhoben, jedoch ohne dass die Palästinenser davon profitiert hätten.

Die Auswirkungen der Reformen des Pariser Protokolls auf die Gemeinschaft lassen sich an einer einfachen, aber schockierenden Statistik ablesen: Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes in Palästina ist zwischen 1994 und 2011 von 19 % auf 10 % zurückgegangen.

Tartir sagte, dass diese Abhängigkeit vom Ausland die Palästinenser in eine schwierige Lage bringt, weil es nun einmal so schwierig ist, Gelder aus dem Ausland nach Hause zu bringen. „Wenn ich einen Geldbetrag von Genf nach Ramallah überweisen will“, so Tartir, „muss ich das über eine israelische Korrespondenzbank machen.“

„Als palästinensischer Exporteur oder Importeur kann man nichts alleine machen“, sagte er. „Man muss sich auf einen israelischen Geschäftspartner verlassen, der bei der Abwicklung des Handels hilft. Man bekommt in israelischen Häfen keinen eigenen Platz. Diese erzwungene Geschäftspartnerschaft erhöht nicht nur die Kosten für jede Transaktion, sondern kommt auch der israelischen Wirtschaft zugute. Aber wir haben keine andere Wahl.“

Zwischen 1997 und 2017 machten der von Israel gesteuerten Zahlungsausgleich und der Zahlungsstrom der Auslandshilfen im Durchschnitt 72 % der Gesamteinnahmen der PA aus.

Tartir weist auch auf den Mangel an Fintech in Palästina hin. „In Ramallah haben wir kein PayPal, kein TransferWise, kein Venmo, kein Revolut. Wenn man Geld aus dem Ausland erhalten will, muss man sich das Geld bei Western Union in bar abholen“, sagte er.

Er erklärte, dass selbst Western Union früher flexibler und in Geschäften im gesamten Westjordanland verfügbar war, aber aufgrund von Anti-Terror-Maßnahmen sind diese Zahlungen nur noch über eine oder zwei Banken möglich. Sie können lange dauern – oft Tage oder sogar Wochen, wenn sie von der Palästinensischen Währungsbehörde als verdächtig eingestuft werden. Außerdem sind sie enorm teuer: Eine Überweisung von 500 Dollar kann 30 bis 40 Dollar kosten.

Aber das ist die beste Option, wenn er heute Geld von Europa in das Westjordanland schicken will. Eine Banküberweisung ist viel schwieriger, sagte er. Außerdem ist es auf die eine oder die andere Art „so gut wie unmöglich“, Beträge über 10.000 Dollar zu versenden.

In einem UN-Bericht aus dem Jahr 2019 wurden die Gesamtkosten der Besatzung für die Palästinenser von 2000 bis 2017 auf 47,7 Milliarden Dollar geschätzt, was dem Dreifachen des BIP der BPG von 2017 entspricht. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass jährlich 3,7 % des palästinensischen BIP aufgrund der durch das Pariser Protokoll geschaffenen Mechanismen in die israelische Staatskasse fließen.

Was als Schritt in Richtung palästinensischer Unabhängigkeit angepriesen wurde, war in Wirklichkeit eine Reihe von Regeln und politischen Maßnahmen, die die Abhängigkeit der Palästinenser von ausländischer Hilfe und der israelischen Wirtschaft erhöhten. Israel übertrug der Palästinensischen Autonomiebehörde die Verantwortung für Millionen von Palästinensern, gab aber die Kontrolle über die Geldpolitik, das Bankwesen, die natürlichen Ressourcen, den Verkehr und die Grenzen nicht ab.

Infolgedessen schrumpfte die palästinensische Wirtschaft, obwohl die 1990er Jahre für Israel wirtschaftliche Blütejahre waren. Trotz der Hoffnungen, die das Friedensabkommen von Oslo geweckt hatte, sank der Lebensstandard der Palästinenser in den folgenden Jahrzehnten, einigen Schätzungen zufolge um 40 % bis zum Jahr 2008.

Ausgelöst durch den Besuch Ariel Sharons in der Al-Aqsa-Moschee und einer Trinkwasserkrise in Gaza begann im September 2000 eine zweite Intifada. Die israelische Reaktion war hart und letztlich verheerend für die palästinensische Wirtschaft.

Nach Angaben der Weltbank reduzierte Israel zwischen 2000 und 2003 die Anzahl der Palästinenser aus dem Westjordanland, die in Israel arbeiten durften, um 53 %, die Anzahl der Palästinenser aus dem Gazastreifen um unglaubliche 86 %. Infolgedessen sank das palästinensische Pro-Kopf-BIP um 40 % und übertraf damit den Rückgang, der während des Finanzkollapses in Argentinien 2001 und der Großen Depression in den USA in den 1930er Jahren zu verzeichnen war.

IV. DAS PROBLEM DER ABHÄNGIGKEIT

Alles in allem haben die Beschränkungen des Pariser Protokolls zu einem chronischen palästinensischen Zahlungsbilanzdefizit geführt. Wenn sich ein Land in einer solchen Situation befindet, hat es in der Regel mehrere Möglichkeiten. Zunächst kann das Land mehr Geld drucken und die Währung abwerten. Aber Palästina hat keine geldpolitische Entscheidungsbefugnis, keine Zentralbank, keine Möglichkeit, Schulden zu monetarisieren oder Geld zu drucken. Eine zweite Möglichkeit ist die Abschöpfung von Reserven. Da Palästina geldpolitisch jedoch nicht unabhängig ist, verfügt es nur über wenige Reserven. Die dritte Möglichkeit wäre die Aufnahme von Krediten durch Schuldenfinanzierung. Da Palästina aber keine Nation ist, wollen nur wenige seine Schulden. Die vierte Möglichkeit ist also die Auslandshilfe.

Ein funktionierendes Palästina ist von ausländischer Hilfe abhängig geworden. Wenn die Hilfsgelder ausbleiben, kann die Regierung den Staatshaushalt oft nicht mehr finanzieren. Seit 1993 wurden im Westjordanland und im Gazastreifen mehr als 40 Milliarden Dollar von internationalen Spendern ausgegeben, was die Palästinenser zu einem der höchsten Pro-Kopf-Empfänger von Hilfszahlungen in der Welt macht.

Tartir zufolge „wurden die Palästinenser gezwungen, mit einem Entwicklungshilfe-Paradoxon zu leben: Große Mengen an Hilfszahlungen gingen mit einem Rückgang der sozioökonomischen und menschlichen Entwicklungsindikatoren einher. In Fällen wie Gaza waren diese Rückgänge dystopisch“.

Trotz aller Hilfe sind Arbeitslosigkeit, Armut und Verschuldung gestiegen, das Pro-Kopf-Einkommen ist gesunken, die wirtschaftliche Basis hat sich verschlechtert, die Lebenshaltungskosten und die Unsicherheit der Lebensmittelversorgung sind gestiegen und die versprochenen ausländischen Investitionen sind ausgeblieben.

Eine Studie von Nikki Tillekens aus dem Jahr 2010 zeigt, dass 71 % der Hilfe für die Palästinenser in der israelischen Wirtschaft landeten.

„Von den mehr als 12 Milliarden Dollar an ausländischen Hilfszahlungen für die Palästinenser zwischen 2000 und 2008“, schrieb sie, „landeten 8,7 Milliarden Dollar in der israelischen Wirtschaft.“

Die internationalen Geber, so Tartir, tragen – wissentlich oder nicht – dazu bei, diesen Status quo zu erhalten.

Washington versorgt Israel jedes Jahr mit 3,8 Milliarden Dollar Hilfszahlungen und bleibt mit großem Abstand Israels wichtigster Exportmarkt und wichtigste Importquelle. Dies führt zu einer bizarren Situation: Obwohl die Palästinenser in hohem Maße auf Hilfe angewiesen sind, erhalten die Israelis pro Kopf viel mehr davon. Vor 1999 deckte die US-Auslandshilfe die gesamten Kosten der Besatzung.

Heute subventionieren die USA die Besatzung immer noch in großem Umfang durch eine Vereinbarung, die Shir Hever ein „lukratives Projekt“ nennt, bei dem Israel Zahlungen in Dollar erhält, aber für den Bau von Mauern und die Bezahlung der Truppen Schekel benutzt. Dadurch erhöhen sich die Devisenreserven der israelischen Zentralbank, die zur Begleichung von Handelsdefiziten oder zur Stärkung des Schekels verwendet werden können, der in den letzten 20 Jahren um 25 % gegenüber dem Dollar aufgewertet wurde. Hever behauptete, dass die israelische Regierung alles tut, um diesen Mechanismus zu schützen, und stellte sogar die These auf, dass eine der Hauptmotivationen für den Angriff auf den Gazastreifen im Jahr 2008 darin bestand, den Abfluss von Schekeln zu stoppen, die durch unterirdische Tunnel nach Ägypten strömten und so die israelischen Reserven austrockneten.

Die US-Regierung unterstützt auch die ägyptische Militärdiktatur, den jordanischen König und die saudische Tyrannei, die alle mit Israel zusammenarbeiten, um sich den Bedrohungen durch den Iran und seine Verbündeten in der Region entgegenzustellen. Trotz ihres Atomwaffenarsenals sind die Israelis verständlicherweise besorgt über die iranische Vernichtungsdrohung, denn sie ist ernst gemeint. Vor allem, wenn man die Geschichte Israels bedenkt, in der Israels Unabhängigkeit von allen Seiten angegriffen wurde. Die Palästinenser wären also naiv, wenn sie erwarten würden, dass die Unterstützung Israels von außen in nächster Zeit aufhört.

Die Befürworter des Status quo beharren darauf, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis eines Tages – durch eine fortgesetzte, zunehmende Verbesserung des Lebensstandards der Palästinenser – Frieden herrschen wird. Diese Vorstellung stammt aus den 1970er Jahren und geht auf die Carter-Regierung zurück, die davon ausging, dass „glückliche“ Palästinenser, „die eine feste Anstellung und eine funktionierende Verwaltungsstruktur haben, bereit wären, unter der Besatzung über eine Lösung zu verhandeln“. Das Ergebnis dieser Philosophie war die Entkopplung von Wirtschaftshilfe und Souveränität.

Viele israelische, amerikanische und europäische Beamte und Geldgeber widersprechen dem vehement und sagen, dass sie ihr Bestes tun, um eine verwundbare palästinensische Bevölkerung zu unterstützen, die unter der Fuchtel korrupter und gewalttätiger Führer steht, die eine Gefahr für die regionale Stabilität darstellen.

Tartir wirft auch der Palästinensischen Autonomiebehörde vor, den Status quo zu erhalten. In diesem Moment, so Tatir, unterdrücke die Behörde Demonstranten, weil sie nicht wolle, dass irgendjemand ihre Abmachung störe, bei der ihr innerer Kreis von der Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung bei der Führung einer kaputten Rentenökonomie profitiere.

V. YASSER ARAFATS VERMÄCHTNIS DER KORRUPTION

Fadi Elsalameen ist ein palästinensischer Verfechter der Demokratie. Als wir telefonierten, erzählte er mir, dass die Palästinenser massenhaft gegen Präsident Mahmood Abbas protestieren, der das Westjordanland seit 16 Jahren regiert. Elsalameen bezeichnete ihn als „extrem korrupt“.

Jassir Arafats Kleptokratie war legendär: Man schätzt sein Vermögen auf Milliarden, von denen er große Teile aus den Einkommensströmen abzweigte, die auf dem Rücken der palästinensischen Arbeiter in Israel erwirtschaftet wurden, und auf seine eigenen Bankkonten oder auf die französischen Konten seiner Frau umleitete.

Elsalameen sagte, dass Abbas nun in die Fußstapfen von Arafat getreten sei, wobei Abbas und seine Familie ihre politische Macht genutzt hätten, um ein Imperium in Branchen wie Versicherungen, Telekommunikation, Bauwesen und Tabak aufzubauen. Laut zugespielten Dokumenten aus den Panama Papers haben Abbas und seine beiden Söhne „Macht und Einfluss genutzt, um die beiden wichtigsten palästinensischen Wirtschaftsgremien (Arab Palestinian Investment Company; Palestinian Investment Fund) zu kontrollieren und ein Wirtschaftsimperium im Westjordanland im Wert von mehr als 300 Millionen Dollar aufzubauen.“

Abbas‘ Sohn Yasser ist Eigentümer von der Firma Falcon Tobacco, die im Westjordanland ein Monopol auf den Verkauf von Zigaretten aus US-Produktion hat. Elsalameen zufolge hat Abbas die Steuern für die Tabakproduzenten im Westjordanland so hoch angesetzt – um sein eigenes Importgeschäft zu begünstigen -, dass diese ihr Geschäft einstellen mussten. Kritiker haben Abbas vorgeworfen, Hunderte von Millionen Dollar an palästinensischen Staatsgeldern zur persönlichen Bereicherung veruntreut zu haben. Eine Umfrage aus dem Jahr 2016 ergab, dass 95,5 % der Palästinenser ihn für korrupt halten. Er herrscht weiterhin per Dekret.

„Ich hasse die Hamas mehr als Abbas“, sagte Elsalameen, „aber wir müssen den Kopf des Schneeballsystems hier im Westjordanland ins Visier nehmen.“

Elsalameen sagte mir, dass die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe dazu geführt hat, dass sich die PA der Bevölkerung gegenüber weniger verantwortlich fühlt und dass sie außerdem eine besondere, vom Rest der Gesellschaft getrennte Elite geschaffen hat. Die öffentlichen Einnahmen haben dieses System jahrzehntelang gestützt, sagte er. Laut Al Jazeera wurden 2015 „nur 16 % des Jahresbudgets der Palästinensischen Autonomiebehörde für Bildung, 9 % für das Gesundheitswesen und 1 % für die Landwirtschaft ausgegeben“, während 26 % für den Sicherheitssektor aufgewendet wurden, der laut Elsalameen häufig Palästinenser ins Visier nimmt.

Die jüngsten Proteste betreffen einen Fall, bei dem Abbas den Aktivisten Nizar Banat, einen seiner schärfsten Kritiker, töten ließ.

„Seine Schläger“, so Elsalameen, „entführten Banat nachts aus seinem Haus und schlugen ihn mit Knüppeln zu Tode. Abbas gewährte ihnen völlige Immunität. Daraufhin sagte die Familie des Opfers: ‚Wir werden protestieren, bis er geht.‘ Und dann gingen alle anderen mit ihnen auf die Straße.“

Tausende marschierten durch das Westjordanland und forderten den „Sturz des Regimes“, so Elsalameen, in Szenen, die manche an den Arabischen Frühling vor zehn Jahren erinnerten. Doch Abbas lebt weiter. Elsalameen sagte, Abbas bleibe an der Macht, indem er den Israelis, Amerikanern und der Weltbank sage: Wenn ihr mich nicht an der Macht habt, werdet ihr die Hamas bekommen.

„So bringt Abbas sie dazu, ihn zu schützen“, sagte er. „Er ist ihr Auftraggeber.“

Elsalameen verwies auf die gescheiterten Proteste und sagte, dass die Politik für den palästinensischen Kampf nur von begrenztem Nutzen sei. „Mit den Wahlurnen kommt man nicht sehr weit“, meinte er.

Auf die Frage nach Bitcoin antwortete er: „Ja, wir können uns mit Bitcoin friedlich zur Wehr setzen. Das ist etwas, das jeder junge Palästinenser tun kann. Man gibt vielleicht die Preisstabilität auf, aber im Gegenzug bekommt man Freiheit.“

Die Herausforderung bestehe darin, „dass wir die Menschen darüber aufklären müssen“, sagte er. Es ist ein neues, seltsames Konzept. Aber wenn die Leute es erst einmal verstanden haben, werden sie es ohne Zweifel nutzen. „Es ist eine Verbesserung gegenüber dem jetzigen Zustand“, sagte er, „wo die Leute Bargeld unter der Matratze aufbewahren oder einen Monat warten, bis sie eine Zahlung von ihrer Familie im Ausland erhalten.“

Er denkt, dass Bitcoin auch die Korruption bekämpfen könnte.

„Wenn man heute die Zahlungsbehörden besticht, lassen sie eine Überweisung schneller durchlaufen“, sagte er. „Daran verdienen sie ihr Geld. Das könnte mit Bitcoin ein Ende haben.“

Er bemerkte, dass in der jungen Generation viele Palästinenser bereits Bitcoin kaufen.

„Sie haben keine Anteile vom S&P 500“, sagte er.

Elsalameen hält die Tatsache, dass sowohl die Israelis als auch die PA Bitcoin kritisieren, für eine gute Sache.

„So weiß man, dass es dem durchschnittlichen Palästinenser helfen wird“, sagte er.

VI. VOM BANKWESEN ZUM BITCOIN IN RAMALLAH

Bei einem durchschnittlichen Tageslohn von 264 Schekel in Israel gegenüber 123 Schekel im Westjordanland kann man es den Palästinensern nicht verübeln, dass sie sich woanders nach höheren Löhnen umschauen, auch wenn sie dadurch ihre eigene Abhängigkeit noch verstärken.

Angesichts dieser Realität fragte ich Alaa Tartir, wie eine dekoloniale palästinensische Wirtschaft aussehen würde.

„Das ist ein Zukunftsprojekt“, sagte Tartir deprimiert. „Davon sind wir noch weit entfernt.“

Aber er fügte hinzu, dass es im palästinensischen Diskurs seit langem die Idee einer „Widerstandswirtschaft“ gebe, die es den Palästinensern ermöglichen würde, zu bleiben, Widerstand zu leisten und Souveränität zu erlangen. Nach der zweiten Intifada beklagte der arabisch-israelische Autor Azmi Bishara „das Fehlen einer einzigen palästinensischen Bank, einer Versicherungsgesellschaft oder einer Druckerei und rief palästinensische Investoren auf, ‚an lokale Wirtschaftsunternehmen mit eigenen Strukturen, eigenem Markt und eigenen Arbeitskräften zu denken‘.“

Aber sie waren immer auf den Schekel und die israelischen Finanzwege angewiesen, so Tartir, und „es fehlte ihnen immer das Werkzeug, um dies zu verwirklichen.“

Ein palästinensischer Ex-Banker namens Abuwedad glaubt, dass Bitcoin dieses Werkzeug sein kann. Er wollte für unser Interview seinen richtigen Namen nicht nennen, sprach mit mir aber von seinem Haus in Ramallah, wo er nach sieben Jahren in der Branche kürzlich seinen Job aufgab. Als er kündigte, war er stellvertretender Finanzmanager einer großen Bank, die ihre Dienste im Westjordanland und in Jordanien anbietet. Er verließ die Bank, weil er es nicht mehr mit sich selbst vereinbaren konnte, eine, wie er es nennt, finanzielle Krankheit, die den Palästinensern schadet, zu verbreiten: und zwar zu hohe Verschuldung.

„Das ganze System“, sagte er, „basiert seit 15 Jahren darauf, dass die Menschen viel mehr Kredite aufnehmen, als sie sich leisten können.“

Noch schlimmer sei, dass die Kredite nicht für die Gründung von Unternehmen oder den Aufbau von Infrastrukturen verwendet würden, sondern für Hochzeiten oder den Kauf von Autos oder Wohnungen in der Innenstadt. Laut der Politikforscherin Yara Harari „haben sich die Kredite für Autos in den letzten 10 Jahren von 40 Millionen Dollar im Jahr 2008 auf 250 Millionen Dollar versechsfacht. So könnte man Ramallah leicht für eine wohlhabende Stadt mit gutbürgerlichen Wohnvierteln voller Luxus-Villen und glänzenden BMWs halten. Aber das ist nur eine Fassade.“

Abuwedad sagte, dass die Menschen mit all dem billigen Geld – und ohne Robinhood, ohne E-Trade und ohne Zugang zu den wichtigsten Aktienmärkten der Welt – in Immobilien investiert haben. Zwischen 1994 und 2016 entfielen 80 % der palästinensischen Kapitalbildung auf Gebäude. Dadurch sind die Kosten „surreal“ geworden. Eine kleine Wohnung könne 100.000 Dollar kosten, sagte er, oder 1.000.000 Dollar für 1.000 Quadratmeter Land – und das alles an einem Ort, wo das Pro-Kopf-BIP bei etwa 3.500 Dollar liegt.

Er sagte, dass die Banken den Palästinensern dabei helfen, ihre Abhängigkeit von Israel zu erhöhen und ihre eigene Souveränität zu verringern. Dies ist eine Folge der Reformen, die 2007 vom damaligen palästinensischen Premierminister Salam Fayyad eingeführt wurden und die laut Abuwedad „das Konsumdenken gegenüber der Unabhängigkeit priorisierten“.

Die Gesetze „verlangten von den in Palästina tätigen Banken, 40 % ihrer Kredite vor Ort zu vergeben. Die Kreditrahmen schnellten von 1,3 Milliarden Dollar im Jahr 2008 auf 7,1 Milliarden Dollar im Jahr 2018 in die Höhe, ein Anstieg um 450 %“, heißt es in „Political Economy Of Palestine„, einer neuen Aufsatzsammlung, die von Alaa Tartir und anderen herausgegeben wurde.

„Stellen Sie sich ein Mitglied der palästinensischen Sicherheitskräfte vor, das 600 Dollar pro Monat verdient“, sagte Abuwedad. „Die Person kann jetzt einen monatlichen Kredit in Höhe des Fünf- oder sogar Zehnfachen ihres Gehalts aufnehmen und mit 10 % Anzahlung in bar eine schicke 120 Quadratmeter große Wohnung in Ramallah kaufen.“

Die Banken gefällt das natürlich, denn sie können über einen Zeitraum von 25 Jahren 200.000 Dollar für jede 100.000 Dollar verdienen, die sie vergeben. Aber die Menschen sind dann verschuldet, oft für ihr ganzes Leben. Dies sei die Realität für große Teile der palästinensischen Gesellschaft, die Kredite aufgenommen hätten, um nicht nur Wohnungen, sondern auch alle möglichen persönlichen Güter zu finanzieren, so Abuwedad.

Nur sehr wenige Kredite fließen in die Industrie, die Landwirtschaft oder ins Unternehmertum. Im Jahr 2008 wurden nur 7 % der Kredite für die Landwirtschaft und das verarbeitende Gewerbe verwendet, gegenüber 33 % für „Autos, Kreditkarten und Konsumgüter“, heißt es in „Political Economy of Palestine„.

„Es ist dieselbe Politik, die uns vor vielen Jahrzehnten vom Aufbau einer industriellen Basis abgehalten und von externen Mächten abhängig gemacht hat“, sagte Abuwedad, „nur ausgeschmückt mit neuen Begrifflichkeiten wie „Staatsaufbau“ und „wirtschaftlicher Stärkung“.

Momentan sehnen sich alle Palästinenser immer noch nach Freiheit, sagte er, aber das System „lenkt sie mit unmittelbaren finanziellen Sorgen ab und macht es für sie viel schwieriger, sich auf dieses ultimative Ziel zu konzentrieren“. Die Menschen „leben von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck, um Kredite zurückzuzahlen und die Banker zu bereichern, anstatt für ihre Zukunft zu sparen und zu investieren“, sagte er.

Nachdem er seinen Job im Bankwesen aufgegeben hatte, arbeitete Abuwedad einige Jahre für ein Technologieunternehmen in Ramallah und versuchte dann, mit Freunden ein Unternehmen in der Online-Spiele-Branche zu gründen. Er glaubt, dass Palästinenser im eSport wettbewerbsfähig sein können – auch wenn sie es heute noch nicht sind – und dass Spiele bei der Zusammenarbeit, bei der Teambildung, bei der Stärkung des Selbstwertgefühls und bei der Kontaktaufnahme mit Menschen im Ausland hilfreich sein können. Allerdings wird dies durch viele Gründe erschwert – hauptsächlich weil Computer so teuer sind und das Internet nicht gut genug ist (obwohl es ein paar Kilometer weiter in Israel rasend schnell ist).

Abuwedad zeigt auf einen Laptop, der in den USA oder in Israel vielleicht 1.500 Dollar kostet, und sagt, wenn er das gleiche Gerät in Palästina kaufen wolle, würde es bis zu 3.500 Dollar kosten. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass eine Inflation des Schekels den Israelis und Palästinenser gleichermaßen schaden würde, weil sie dieselbe Währung verwenden. Doch Abuwedad hat mir erklärt, warum das nicht der Fall ist.

„Wenn palästinensische Importe in Israel ankommen“, so Abuwedad, „werden sie zunächst besteuert und dann kostenpflichtig eingelagert, da sie – aufgrund der sehr eingeschränkten Fahrpläne der Lastwagen – darauf warten müssen, ins Westjordanland transportiert zu werden. Auf dem Weg dorthin werden die Waren oft gestohlen. Außerdem erhöhen die lokalen Verkäufer den Preis der Waren, um ihre eigenen Steuern zahlen und Gewinne erwirtschaften zu können. Wenn der Laptop dann in Ramallah verkauft wird, kann er zwei- bis dreimal teurer sein als in Tel Aviv, obwohl alle dieselbe Währung verwenden.“

In einem anderen Bericht heißt es, dass palästinensische Händler für die Einfuhr und den Verkauf von Waren durchschnittlich „38 Tage“ benötigten, während ihre israelischen Kollegen dies in 10 Tagen schafften. Dies führte dazu, dass die durchschnittlichen Kosten pro Transaktion in Ramallah dreimal so hoch waren wie in Tel Aviv. Diese aggressive Inflation, so Abuwedad, gelte für viele Konsumgüter.

„Wenn wir direkt importieren könnten,“ so Abuwedad, „dann wäre alles viel billiger.“ Er gab dem Pariser Protokoll die Schuld, das seiner Meinung nach „veraltet“ und seit fast 30 Jahren nicht mehr aktualisiert worden ist, obwohl sich die Welt dramatisch verändert hat.

Die israelische und die palästinensische Inflation entwickelten sich in den 1980er Jahren – als der Absturz des Schekels die palästinensische Kaufkraft dezimierte – und in den 1990er Jahren gemeinsam. Doch nach der zweiten Intifada im Oktober 2000 trennten sich ihre Wege. Israel erlebte eine Deflation, die Palästinenser erlebten hingegen eine Stagflation mit sinkenden Einkommen und steigenden Preisen. Die palästinensische Kaufkraft begann massiv hinter der israelischen Kaufkraft zurückzufallen. Shir Hever stellt fest, dass im Jahr 2008 „dasselbe Produkt in einer palästinensischen Stadt 32 % teurer war als in einer israelischen Stadt“.

Abuwedads Pläne, sich durch die Gründung eines Unternehmens aus dieser Falle zu befreien, wurden durch die COVID-19-Pandemie zunichte gemacht, die seiner Meinung nach das Westjordanland besonders hart getroffen und die Wirtschaftstätigkeit unterdrückt hat. In der Zwischenzeit hat er sich viel mit Bitcoin beschäftigt. Er sagte, dass es im Westjordanland und im Gazastreifen eine ganze Gemeinschaft gibt, die sich momentan engagiert. Ich habe ihm gegenüber erwähnt, dass die weltweite Verbreitung von Bitcoin heute in etwa so hoch ist wie die des Internets im Jahr 1997 – etwa 200 Millionen Menschen, also 2 % der Bevölkerung. Er glaubt, dass dies wahrscheinlich dem Prozentsatz der Palästinenser entspricht, die Bitcoin verwenden, und meinte, dass dieser Prozentsatz in den kommenden Jahren rasant ansteigen wird.

Aber wie können Palästinenser Bitcoin kaufen?

„Wir finden immer die Schlupflöcher“, sagte Abuwedad.

Er erzählte mir von einem Schlupfloch. Die Palästinensische Währungsbehörde blockiert Transaktionen von lokalen Bankkonten, bei denen versucht wird, Kryptowährungen an Börsen zu kaufen. Jedoch gibt es eine Ausnahme: den Tether-Stablecoin (USDT). Er glaubt, dass Tether nicht blockiert wird, weil er an den Dollar gekoppelt ist, so dass der Kauf von Tether auf Plattformen wie Binance ungehindert möglich ist. Abuwedad sagte, dass fast jeder, den er kennt, über Tether in das Thema Kryptowährung gekommen ist. Von dort aus, sagte er, können sie Bitcoin zum Sparen kaufen oder Tether als „Girokonto“ benutzen. Er sagte, dass einige Leute auch das Bankensystem komplett umgehen und Telegram- oder Facebook-Gruppen nutzen, um den Kauf von Tether oder Bitcoin auf Peer-to-Peer-Basis zu koordinieren.

Abuwedad scheint zu wissen, dass Tether keine ideale Lösung ist. Aber für den Moment würde es funktionieren, sagte er. Wir diskutierten die Idee, dass die Palästinenser in naher Zukunft Lightning-Wallets, die an eine Fiat-Währung wie den Dollar „gekoppelt“ sind, nutzen könnten, anstatt auf Tether angewiesen zu sein. Er wusste nicht viel über Lightning, aber während unseres WhatsApp-Telefonats zeigte ich ihm, wie man eine Muun-Wallet herunterlädt, und schickte ihm 5 Dollar über Lightning.

„Das ging wirklich schnell“, sagte er, ganz beeindruckt von der Sofortüberweisung von Boston, wo ich mich gerade aufhielt, nach Ramallah. Ich erzählte ihm, dass praktisch keine Gebühren anfallen, was ihn noch mehr begeisterte. Wir nahmen uns einen Moment Zeit, um uns nochmal über die Tatsache bewusst zu werden, dass es für Palästinenser so schwierig ist, Geld von einem Ort zum anderen zu transferieren und wie Bitcoin das alles revolutioniert: Tausende Kilometern entfernt schickte ich ihm Geld und wir mussten uns nicht mit der Zollpolizei, Verzögerungen, Warnungen, Beschlagnahmungen oder Mehrwertsteuer herumschlagen. Weder die israelische Regierung noch die PA bekam einen Anteil davon.

Er ist der Meinung, dass stabile Lightning-Wallets für die Palästinenser von enormer Bedeutung sein könnten: ein Bankkonto, für das man keinen Ausweis braucht, bei dem man die Kontrolle über sein eigenes Geld hat, bei dem man überall auf der Welt sofort und praktisch ohne Gebühren Zahlungen durchführen kann und bei dem man wählen kann, ob man den Wert an den Dollar koppelt oder sein Geld nativ in Bitcoin hält. „Das ist der Traum“, sagte er.

Abuwedad betrachtet Bitcoin als friedlichen Protest gegen ein korruptes, ausbeuterisches und zentralisiertes Finanzsystem, das er während seiner Karriere als Banker intensiv kennenlernen konnte. Das Problem besteht laut Abuwedad darin, dass derzeit nur eine kleine Anzahl von Palästinensern Bitcoin nutzt.

„Die meisten sehen es als eine Investition“, sagte er, „und nicht als eine Währung.“

Er meint, dass noch einige Zeit vergehen werde, bis Bitcoin zu einer Massenbewegung wird. Bildung sei sehr wichtig. 

„Die Menschen haben eine Menge Fragen, aber mit der Zeit lernen sie dazu und werden dieses Wissen anwenden“, sagte er.

Er hat die neusten Berichte über die Einführung einer eigenen digitalen Währung durch die Palästinensische Autonomiebehörde gesehen, aber er glaubt nicht, dass die Menschen dieser Währung vertrauen werden. Wenn überhaupt, so sagte er, könnte dies mehr Menschen ermutigen, Bitcoin zu benutzen.

„Wenn wir Bitcoin zu unserer Art machen wollen, der Welt Kontra zu geben, um frei von den Abkommen von Oslo und Paris zu leben, dann müssen wir anfangen, ihn im täglichen Leben zu benutzen. Und das wird Zeit brauchen“, sagte er.

„Wir alle wissen“, sagte er, „dass die internationale Gemeinschaft uns keine Freiheit geben wird. Also müssen wir sie uns selbst nehmen.“

Er erzählte mir, dass er den Namen Abuwedad gewählt hat, weil Wedad der Name ist, den er seiner Tochter geben würde, falls er eines Tages eine hat. Und vielleicht, sagte er, wird sie in einer Bitcoin-Welt aufwachsen.

VII. DIE NEUE WIDERSTANDSÖKONOMIE

Kefah Abukhdeir ist eine palästinensische Amerikanerin der dritten Generation. Sie wuchs in Atlanta auf, ließ sich aber mit ihrem Mann in Ostjerusalem nieder und arbeitet als Pädagogin.

Abukhdeirs Familie hatte Jerusalem verlassen, als es unter osmanischer Herrschaft stand, und floh vor der Einberufung zum Wehrdienst in die USA und nach Südamerika, behielt aber Verbindungen zu ihrem Heimatland. Ihr Vater kehrte nach Palästina zurück und wurde in den 1960er Jahren zu einem entschiedenen Kritiker der Präsenz der Jordanier im Westjordanland. Schließlich ging er für immer in die USA, wo er am Georgia Institute of Technology studierte und im amerikanischen Süden eine Familie gründete. Wie ihre Familie vor ihr ging Abukhdeir Ende der 1990er Jahre zurück ins Westjordanland an die Birzeit-Universität, um Arabisch zu lernen. Schließlich machte sie einen Abschluss in Pädagogik und zog dann nach Ostjerusalem.

Abukhdeir sagte: „Wenn man einer palästinensischen Mutter das Herz brechen will, muss man ihr sagen, dass ihr Kind Wirtschaft oder Landwirtschaft studieren wird“. Sie ist der Meinung, dass diese beiden Bereiche für das Erlangen einer wirklichen Unabhängigkeit entscheidend sind, aber man scheut sich davor oder meidet sie komplett. Dies sei eine Folge davon, dass der wirtschaftliche Fortschritt der Einheimischen als „Zeitverschwendung“ angesehen werde, meinte sie.

Abukhdeir hat das letzte Jahrzehnt damit verbracht, im Rahmen von Programmen des US-Außenministeriums und von Edureach – einer Organisation, die Lehrer ausbildet und außerschulische Programme für Kinder anbietet -, mit palästinensischen Jugendlichen zu arbeiten. Dort stand sie vor einem Dilemma: Um wettbewerbsfähiger zu sein, müssen die Schüler Englisch lernen und in Israel zur Schule gehen. Sie weiß, dass dies die Abhängigkeit der Palästinenser von der Welt um sie herum verlängert und die Wirtschaft in Israel ankurbelt, aber sie will die beste Zukunft für die Kinder, die so beschäftigungsfähig wie möglich sein wollen. „Wir haben die ganze Nacht darüber debattiert“, sagte sie.

„Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich die Abwanderung von Fachkräften fördere“, sagte sie. „Wenn die Kinder erfolgreich sind, gehen sie auf ein College in Israel oder den USA und wollen nicht zurückkommen. Sie sind dann für Jobs in Palästina überqualifiziert. Im besten Fall arbeiten sie dann für eine Nichtregierungsorganisation oder eine ausländische Einrichtung, wie sie. „Wir sind nicht wirklich Teil der lokalen Wirtschaft“, sagte sie. „Wir tragen nichts zu Reinvestitionen bei.“

Ihre Erfahrungen sind beispielhaft für das Dilemma, in dem sich viele Palästinenser seit 1967 befinden. Sie konnten zu Hause bleiben oder in Israel für höhere Löhne arbeiten und mehr für ihre Familie tun. Aber man ging einen Kompromiss ein, indem man wirtschaftliche Aktivität und Entwicklung dorthin brachte, statt in die Heimat.

„Unabhängigkeit ist etwas Finanzielles“, sagte mir Abukhdeir. „Wenn wir keine finanzielle Freiheit haben, wird sich nichts ändern.“

Abukhdeir wies darauf hin, dass in Palästina im Laufe der Zeit unterschiedliche Währungen verwendet wurden. Die Menschen verwenden immer noch den jordanischen Dinar und den US-Dollar, aber in letzter Zeit sei der Schekel immer beliebter geworden, sogar in Gaza.

„Locker 80 % der täglichen Transaktionen werden in Schekel abgewickelt“, sagte sie. Das bedeutet, dass fast jede Transaktion, die ein Palästinenser tätigt, „die Abhängigkeit von Israel fördert und vergrößert“.

Als sie in Atlanta aufwuchs, habe sie viel über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung gelernt und sich auch mit ähnlichen Bewegungen in Südafrika und Irland beschäftigt.

„Eines der ersten Dinge, die diese Bewegungen tun würden,“ sagte sie, „ist der Aufbau einer unabhängigen Wirtschaft. Aber das haben wir nicht. Wir haben nur Warnungen, Beschlagnahmungen und Steuern, die für Leistungen bezahlt werden, die wir nicht einmal erhalten.“

Seit kurzem verbringt Abukhdeir Zeit in den Technologiezentren in Ramallah und Jerusalem. Dort, so sagt sie, hat sie den „Tech-Kolonialismus“ kennengelernt. Hier würden Israelis die besten und klügsten Köpfe rekrutieren, jedoch gebe es keine palästinensischen Unternehmen, die Mitarbeiter anwerben.

„Wir schaffen eine Arbeitskraft für die andauernde Besatzung“, sagte sie. „Technologie ist wichtig, weil wir einen Plan brauchen, der keine Rohstoffe benötigt. Wir können kein Land besitzen, wir können nicht produzieren – was können wir also tun?“

Um das zu ändern, setzt Abukhdeir auf Bitcoin. Sie ist Teil einer Bewegung, die versucht, das palästinensische Wirtschaftssystem auf einer Karte zu erfassen – sowohl palästinensische Unternehmen in Israel als auch Unternehmen in Ostjerusalem und dem Westjordanland -, sowie neue Handelsverfahren zu fördern.

Die Idee ist, dass Unternehmen in palästinensischem Besitz das Bezahlen mit Bitcoin anbieten können. Das würde die Neugierde wecken, eine Kreislaufwirtschaft in Gang setzen, mehr Menschen dazu bringen, Bitcoin kennenzulernen und mehr über die Funktion von Geld zu erlernen, meinte sie.

„So“, sagte sie, „könnten wir unsere Abhängigkeit vom Schekel beenden.“

Heute betreut Abukhdeir einige Lehrer, die für sie in Gaza arbeiten. Sie sagte, dass es sehr kompliziert ist, sie zu bezahlen. „Ich kann PayPal nicht benutzen, obwohl ich israelisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerin bin. Selbst mit meinem finanziellen Privileg ist das schwierig“.

Sie beschrieb, wie sie an einem Geldautomaten Geld von ihrem israelischen Konto abhebt, es bei einer palästinensischen Bank einzahlt – in die sie nur mit ihrem amerikanischen Pass  reinkommt – und dann eine Überweisung auf das Konto des Lehrers vornimmt. Das kostet Zeit und ist teuer. Aber mit Bitcoin, sagte sie, kann sie den Betrag sofort an den Lehrer in Gaza schicken.

Sie sagte, dass sie sich die Zukunft immer noch im Kopf ausmalt.

„Mit Bitcoin könnte man ein völlig unabhängiges Unternehmen aufbauen, das nicht auf eine PA-Bank angewiesen und nicht vom Schekel und der israelischen Wirtschaft abhängig sein muss“, sagte sie.

Abukhdeir ist der Meinung, dass ein Wandel letztlich nur durch „ein großes Maß an Gewalt oder ein großes Maß an wirtschaftlicher Aktivität“ erreicht werden kann, und hält Letzteres für den einzigen Weg zum Erfolg. „Wir können uns nicht mit einer halbherzigen Lösung zufrieden geben“, sagte sie und verwies auf das Scheitern des Oslo-Friedensprozesses.

„Wir müssen uns komplett befreien“, sagte sie. „Wenn wir nicht aus der Währung aussteigen, werden wir am Ende nur das System stärken“.

VIII. DIE ISRAELISCHE BITCOIN-GEMEINSCHAFT

Es ist eindeutig, dass Bitcoin einigen Menschen in der palästinensischen Gemeinschaft Hoffnung für die Zukunft gibt. Aber wie sehen das die israelischen Bitcoin-Befürworter? Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich mit mehreren israelischen Bitcoinern gesprochen, unter der Bedingung, dass die Anonymität gewahrt bleibt.

Einigen bereitet das derzeitige politische Umfeld in Israel große Sorgen. Andere meinen, dass es „nicht so schlimm“ sei, aber ein Unternehmer sagte mir, dass es riskant ist, etwas zu tun, was als „links“ bezeichnet werden könnte (wie z. B. den Palästinensern durch Bitcoin zu helfen), und dass es immer schwieriger wird, seine Meinung zu sagen.

„Die Stimmung wird von Tag zu Tag schlechter“, sagte er. „Es erinnert mich an schlimme Zeiten in der Weltgeschichte.“

Er fuhr fort: „So kann man hier kaum positiv in die Zukunft blicken. Man steht sehr oft vor der Frage, ob man überhaupt im Land bleiben soll.“

Aber obwohl er sagte, dass es auf den Treffen in Tel Aviv bisher kein Thema war oder keine Priorität hatte – „niemals“, sagte er -, sich bezüglich der Verwendung von Bitcoin mit Palästinensern in Verbindung zu setzen, glaubt er, dass dies gelingen könnte.

Er sagte, dass Bitcoin weiterhin Brücken baut, nicht Mauern. Und als er darüber nachdachte, wie Israelis den Palästinensern tatsächlich Freiheit gewähren könnten, kam er zum Schluss, dass Bitcoin ein Weg sein könnte.

„Es ist keine vorgetäuschte Freiheit“, sagte er, „so wie die, die wir ihnen bisher aufschwatzen wollten.“

„Ich bin für Koexistenz“, sagte der Unternehmer. „Ich will eine Einstaatenlösung. Ich will ein Land mit Bitcoin als Währung, mit den gleichen Regeln für alle. Wie Bitcoin dabei helfen kann, diese Atmosphäre der Koexistenz zu erzeugen, ist sehr wichtig. Es geht nicht darum, zwei Staaten zu schaffen: Es geht darum, die Macht des Staates zu reduzieren.“

IX. DIE MEINUNG EINES ISRAELISCHEN SIEDLERS ZU BITCOIN

Viele israelische Bitcoiner sind relativ progressiv und sympathisieren sogar mit der Idee, den Palästinensern mit Open-Source-Geld zu helfen. Aber was ist mit den nationalistischen Zionisten? Oder gar Siedlern? Überraschenderweise versucht zumindest einer von ihnen, Bitcoin in Palästina zu fördern.

Jonathan Caras ist ein amerikanischer Tech-Unternehmer und Bitcoin-Befürworter, der seit 10 Jahren im Westjordanland lebt.

„Ich kann Ramallah von meinem Fenster aus sehen“, sagte er mir, als wir uns per Videochat unterhielten.

Heute leben etwa 14 Millionen Menschen – etwa zur Hälfte Juden und zur Hälfte Palästinenser – zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan unter der wirtschaftlichen Kontrolle der israelischen Regierung.

Auf der einen Seite, im Staat Israel, gibt es neun Millionen Bürger, die in einer soliden, wenn auch erodierenden demokratischen Gesellschaft leben. Auf der anderen Seite gibt es fast fünf Millionen Palästinenser unter einer militärischen Besatzung, die nun schon 54 Jahre andauert. Eine 700 Kilometer lange Sperranlage – die an vielen Stellen buchstäblich eine massive Betonmauer ist – wird seit zwei Jahrzehnten gebaut und trennt die beiden Seiten. Caras und hunderttausende anderer israelischer Siedler leben östlich dieser Barriere.

Nach Angaben der israelischen Bürgerrechtsorganisation B’Tselem „leben im Westjordanland mehr als 2,6 Millionen Palästinenser in Dutzenden unzusammenhängenden Enklaven unter strenger Militärherrschaft und ohne politische Rechte. Auf etwa 40 % des Gebiets hat Israel einige zivile Befugnisse an die PA übertragen.“ Aber selbst dort ist „die Palästinensische Autonomiebehörde immer noch Israel untergeordnet und kann ihre begrenzten Befugnisse nur mit Israels Zustimmung ausüben.“

61 % des Gebiets im Westjordanland sind als Gebiet C klassifiziert – bestehend aus weiten, offenen Flächen und Ackerland – und werden direkt vom israelischen Militär kontrolliert. Im Jahr 1995 wurde in einem Abkommen festgelegt, dass das ressourcenreiche C-Gebiet bis 1997 „schrittweise in palästinensische Zuständigkeit“ übergeben werden sollte. Doch das ist nicht geschehen. Stattdessen wurden die Palästinenser daran gehindert, dieses Land zu bewirtschaften oder es zu kaufen, und israelische Siedler und Unternehmen haben das Gebiet zunehmend besiedelt.

Israel nutzt viele Ressourcen im Gebiet C, darunter Solarenergie für mehr als 10.000 israelische Häuser, Wasserquellen und Ackerland. Gleichzeitig konfisziert es palästinensisches Eigentum. In den letzten 20 Jahren haben die israelischen Streitkräfte beispielsweise mehr als eine Million palästinensische Obstbäume gefällt. Israel und Jordanien verdienen jährlich 4,2 Milliarden Dollar mit dem Verkauf von Mineralien wie Kali und Brom aus den C-Gebieten in der Nähe des Toten Meers. In einem Bericht der Weltbank heißt es, dass die Palästinenser ihr BIP um fast 10 % steigern könnten, wenn sie auch in diesen Bereich investieren dürften. Letztlich wird in dem Bericht festgestellt, dass die Palästinenser ihr BIP um 35 % steigern könnten, wenn man ihnen erlauben würde, das Gebiet C für Landwirtschaft, Mineralien, Bergbau, Bauwesen, Tourismus und Telekommunikation nutzbar zu machen.

Das israelische Militär hat den größten Teil des Westjordanlandes für die palästinensische Zivilbevölkerung gesperrt und Kontrollpunkte und Sperren errichtet, um die Bewegungsfreiheit der Menschen auf die verbleibenden Gebieten A und B zu begrenzen. Eine schwindelerregende Anzahl von Ristriktionen – auferlegt im Namen der Terrorismusbekämpfung – schränkt die Möglichkeiten der Palästinenser ein, sich zu bewegen, zu bauen, ins Ausland zu gehen, zu heiraten, Eigentum zu kaufen, zu arbeiten und zu wählen, um an dem System teilzunehmen, das sie regiert. Die zur Durchsetzung dieses Systems verwendete Technologie wird von israelischen Unternehmen wie Candiru, Cellebrite und NSO Group an Regierungen in aller Welt verkauft. Diese Überwachungsprodukte sind sehr begehrt und gelten als Weltklasse und werden mit dem Argument vermarktet, dass sie im Westjordanland und im Gazastreifen erprobt worden sind und sich bewährt haben.

Hunderttausende jüdischer Siedler leben heute dauerhaft in Siedlungen im Westjordanland östlich der Grünen Linie – der Grenze zwischen Israel und Palästina, die nach dem Krieg von 1948 festgelegt wurde. Diese Siedler werden durch die israelische Politik finanziell gefördert und subventioniert, um dorthin zu ziehen, unter anderem durch Steuervorteile und Zuschüsse beim Wohnungsbau. Insgesamt gibt es im Westjordanland mehr als 280 israelische Siedlungen und eine Vielzahl von Industriegebieten, wobei in den letzten 10 Jahren mehr als 60 Außenposten errichtet wurden, die alle gegen das Völkerrecht verstoßen. Auf den entsprechenden Karten ist die Veränderung der Einflussgebiete unübersehbar.

Als der Oslo-Friedensprozess im Jahr 1993 begann, gab es etwas mehr als 100.000 israelische Siedler im Westjordanland, Ostjerusalem nicht mitgerechnet. Heute sind es mehr als 475.000.

Caras ist einer von ihnen. Er sagte, er sei ein „religiöser zionistischer Siedler“. Sein Ziel ist es, „das Königreich Davids wiederherzustellen und den Tempel Salomos zu bauen“. Vor zwanzig Jahren kam er zum ersten Mal nach Israel und erkannte, dass „der beste Weg für mich, meine biblische Verpflichtung zu erfüllen, darin besteht, mich auf einem unbewohnten Hügel im Westjordanland niederzulassen.“

In den letzten Jahren hat Caras eine Reihe von Vorträgen darüber gehalten, „wie Technologie eine ausgeglichenere Wechselbeziehung und eine Koexistenz vorantrieben kann.“ Er sagte, dass Bitcoin es den Menschen ermöglicht, bisher unüberwindbare Grenzen zu überschreiten: rechtliche, finanzielle und ideologische.

„Er erlaubt uns, zusammenzukommen“, sagte Caras. Er ist Mitglied der Handelskammer von Judäa und Samaria und hat in dieser Funktion häufig mit Palästinensern zu tun.

Er sagte, wenn er mit einem Palästinenser Geschäfte mache, könne das eine Gefahr für dessen Leben darstellen. „Wenn ich mit meinem Nachbarn ein Geschäft gründen will, könnten seine Kinder getötet werden“, sagte Caras. „Mit Bitcoin können wir also zusammenarbeiten, ohne dass er sich Gedanken über seine Sicherheit machen muss.“

Er erzählt mir, dass er gesehen hat, wie Autos im Sinne einer Warnung niedergebrannt wurden, weil man mit Israelis Geschäfte gemacht hat.

Caras behauptete, dass die Palästinenser eigentlich vom starken Schekel profitiert haben, und verglich ihre Notlage mit der von Libanesen, Syrern, Ägyptern und anderen in der Region, die unter einer hohen Inflation oder Hyperinflation gelitten haben. Er meint, die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde seien korrupt, aber der Schekel habe die Palästinenser teilweise vor ihrer schlechten Regierung geschützt, da er eine zuverlässige Rechnungseinheit, ein Tauschmittel und ein Wertaufbewahrungsmittel darstelle.

Als ich ihn darauf hinwies, dass die Palästinenser nach wie vor unter einer erheblichen Preisinflation leiden, sagte er: „Ein Glas Wasser wird in der Wüste immer teurer sein als an den Niagarafällen“, und meinte, dies habe nichts mit dem Geld zu tun, sondern mit der Kontrolle über die Grenzen sowie über Waren und Dienstleistungen.

„Im Westjordanland können die Palästinenser nicht einfach Sachen bei Amazon kaufen“, sagte er. „Es wird immer eine Preisdiskrepanz geben.“

Er sagte, dass das restriktive Wirtschaftssystem, das die Palästinenser einschränkt, von den Israelis und der internationalen Gemeinschaft aufgrund der heftigen Gewaltandrohungen der Palästinenser „hingenommen“ wird. „Solange die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde die Vernichtung des jüdischen Staates anstreben, gibt es für die Palästinenser keine Hoffnung, die gleichen Preise wie in Tel Aviv zu bekommen“, sagte er.

Doch vom religiösen Blickwinkel betrachtet glaubt Caras letztendlich, dass der Schekel und alles Fiat-Geld „aus einer islamisch-jüdisch-christlichen Perspektive als unethisch und unmoralisch angesehen wird“.

Er sagte, dass „Fiat-Geld leistungsloses Einkommen und eindeutig eine Form des Diebstahls ist – man zahlt Zinsen an die Regierung für den Aufbau des Wohlstands der eigenen Familie“.

Er verglich dies mit rohstoffbasiertem Geld wie Gold und Bitcoin, bei denen „jedes Mitglied der Gesellschaft unter dem Himmel gleich ist“.

Bei Bitcoin „kennen wir alle die Regeln und wissen, dass wir mitmachen können, ohne dass jemand die Regeln in der Zukunft ändert“, sagte er. „Das ist nicht der Fall, wenn wir in einem Fiat-System arbeiten, wo es von Natur aus ein Zweiparteiensystem gibt: die Oligarchie der Bonzen, die die Geldpolitik bestimmen und den Geldfluss kontrollieren, und dann die Tagelöhner und Leibeigenen, die der Durchsetzung dieser Politik unterworfen sind. Der Name ‚Fiat‘ besagt bereits, dass wir nicht gleichberechtigt sind.“

Caras glaubt, dass wir uns „in einer messianischen Ära“ befinden, in der sich „gerade biblische Prophezeiungen erfüllen“, und es „eine Menge Anzeichen“ dafür gibt, dass Bitcoin eine dieser Prophezeiungen sei.

Auf die Frage, ob er glaubt, dass die israelische Regierung versuchen wird, Bitcoin als Werkzeug des Terrors oder des Widerstands zu verbieten oder einzuschränken, sagte er, dass das israelische Volk weiß, dass die technologische Innovation und die Möglichkeiten die Risiken bei weitem überwiegen. Er sagte, wenn die Hamas versuche, Bankbeschränkungen zu umgehen, indem sie Gelder in Bitcoin sammelt (wie die israelische Regierung kürzlich behauptet hat und Bitcoin auf Börsen beschlagnahmte, die angeblich mit der Hamas in Verbindung stehen würden), dann sei das leichter zu regulieren als Caras „Bezahlung eines Gärtners oder Webentwicklers in Bitcoin“.

Er sagte, der neue israelische Premierminister habe einen Hintergrund in Cybersicherheit und Unternehmertum und sagte, ein Verbot sei unwahrscheinlich.

„Bitcoin zu verbieten“, sagte Caras, „ist genauso lächerlich wie Marihuana zu verbieten. Wenn ich einen Samen in meiner Tasche habe, kann ich Felder mit Pflanzen anlegen. Wenn ich 12 Wörter in meinem Kopf habe, kann man mich nicht aufhalten.“

Caras wies darauf hin, dass Bitcoin bereits heute eine viel größere Marktkapitalisierung hat als der Schekel. Er glaubt, dass die Länder gezwungen sein werden, Bitcoin als Reserve in ihre Bilanzen aufzunehmen und zu einem gesetzlichen Zahlungsmittel zu machen. Oder sie werden versuchen, Bitcoin zu verbieten oder zu bekämpfen – eine Schlacht, die sie verlieren werden, und müssen dann später zu einem höheren Preis einsteigen.

Caras ist ein großer Kritiker von digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs) und sprach darüber, wie hilfreich Bargeld ist, weil es unaufhaltbar und privat ist.

„Ich würde mich vehement dagegen aussprechen, Bargeld durch eine CBDC zu ersetzen: Das ist eine Form von Kontrolle“, sagte er. „Es kann deinem Unternehmen schaden, wenn Twitter dein Konto für 72 Stunden einfriert. Doch es kann dein Geschäft buchstäblich vernichten, wenn es kein Bargeld in der Gesellschaft gibt und es der Regierung nicht gefällt, mit wem sie dich händchenhaltend auf einer Überwachungskamera gesehen hat, und sie deshalb dein Konto einfriert.“

Jedoch leide Bargeld immer noch unter der Entwertung und schade der Fähigkeit der Menschen, langfristig zu sparen, meinte er.

„Es gibt einer Generation, die an ihre Fähigkeit glaubt, die Möglichkeiten, in sich selbst zu investieren und jeden Monat zu einem festgelegten Zeitpunkt Geld auf die Seite zu legen, das als zusätzliche Sicherheit verwendet werden kann“, sagte er. „Letztendlich wird dies für Palästinenser und Israelis sozioökonomische Auswirkungen auf persönlicher und nationaler Ebene haben.“

„Ich habe mein Geld für meine Kinder in Bitcoin angelegt“, fügte er hinzu. „Ich habe für die nächsten 20 Jahre mehr Vertrauen in Bitcoin als in die Zentralbank von Israel. Und ich bin ein großer Unterstützer von Israel. Denk mal darüber nach“.

Caras stimmt zu, dass es eine Machtdemonstration ist, jemanden in Schekel zu bezahlen.

Deshalb bietet er den Leuten immer an, sie zuerst in Bitcoin zu bezahlen. „Selbst wenn sie ihn dann einfach wieder abstoßen wollen“, sagte er, „müssen sie erst eine Wallet erstellen und anfangen, Bitcoin zu verstehen.“

Auf die Frage, ob er glaube, dass Israel bei der Einführung von Bitcoin hinter Palästina zurückbleiben könnte, sagte er, dass er sich bei der israelischen Regierung dafür einsetzt, dass sie eine Vorreiterrolle übernimmt. Aber wenn die Palästinenser zuerst auf einen Bitcoin-Standard umsteigen würden, würde Israel seiner Meinung nach „die Verfolgerrolle einnehmen“.

Caras sagte, dass er selbst nicht unvoreingenommen ist und weiß, dass einige Palästinenser ihn als Kriegsverbrecher und „die Verkörperung all ihrer Nöte“ bezeichnen werden. Dennoch habe er sich mit Palästinensern zusammensetzen und über Bitcoin diskutieren können, so Caras.

„Wir alle wollen finanzielle Souveränität“, sagte er. „Ich bin am Wohlstand für alle interessiert, nicht nur für die Juden.“

X. DER KAMPF UM SOUVERÄNITÄT

Viele Palästinenser versuchen, sich gegen die israelischen Siedlungen zu wehren, und einige betrachten Bitcoin als ein mögliches Instrument, das diese Bemühungen unterstützen kann. Um mehr darüber zu erfahren, sprach ich mit Zaytoon, der für den Palästinensischen Sozialfonds (Palestinian Social Fund) arbeitet – eine Organisation, die Crowdfunding in der palästinensischen Diaspora betreibt, um landwirtschaftliche Aktivitäten im Westjordanland zu fördern.

Zaytoon sagte, Palästina sei „völlig abhängig von ausländischer Hilfe und Importen. Unsere Produktionskapazität hat sich verringert. Wir haben keine Souveränität“. Er glaubt, dass die Zukunft in der „Produktion unserer eigenen Lebensmittel“ liegt. Sein Plan ist es, in den Dörfern des Westjordanlandes landwirtschaftliche Genossenschaften zu gründen und ein neues Regierungsmodell einzuführen, das nicht von ausländischer Hilfe oder der Palästinensischen Autonomiebehörde abhängt, sondern „den Menschen und den Gemeinschaften gehört“.

Das ist ganz sicher eine linke Vision. Ich erwähnte ihm gegenüber, dass es in den USA auch eine libertäre Bitcoin-Gemeinschaft gibt, die versucht, landwirtschaftliche Selbstversorgung zu erreichen, „autark“ zu leben, Tiere und Feldfrüchte zu züchten und Freiheit und Abstand von der Regierung zu suchen.

„Letzten Endes sind wir alle Menschen“, sagte er. „Wir sind von Israel besetzt und wir brauchen jetzt unbedingt eine landwirtschaftliche Lösung. Die erwähnten libertären Amerikaner wehren sich vielleicht eher gegen das Konsumverhalten, aber sie wollen dasselbe. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille“.

Landwirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen ist schwierig. Die israelischen Siedlungen, so Zaytoon, dehnen sich immer weiter aus.

„Sie zerstückeln uns geografisch in Bantustans (unzusammenhängende Enklaven)“, sagte er. „Zuerst nehmen sie die Bergkuppen als günstigen Aussichtspunkte ein und dann greifen sie nach den Gebieten mit dem fruchtbarsten Boden – zum Beispiel die Region um das Tote Meer. Diese Orte eignen sich hervorragend für den ganzjährigen Anbau von Erntepflanzen.“

Nach Angaben von B’Tselem wird aufgrund der strengen israelischen Genehmigungsvorschriften nur ein Achtel der unter palästinensischer Kontrolle stehenden Flächen überhaupt bewirtschaftet.

„Wir müssen mit dem anfangen, was wir haben“, sagte er: „mit dem Land um unsere Häuser. Wir können damit beginnen, eine zunehmend dezentralisierte Widerstandswirtschaft aufzubauen.“

Landwirtschaftliche Selbstversorgung sei der Geist der ersten Intifada gewesen, sagte Zaytoon. Jedoch wäre dieser von Jassir Arafat und seinen PLO-Kumpanen für Geld und persönlichen Bereicherung geopfert worden.

„Wir müssen es noch einmal versuchen“, sagte Zaytoon.

Ein großes Problem für Zaytoon und sein Team ist, dass jeglicher Geldfluss nach Palästina von Israel geregelt wird. Die finanziellen Grenzen werden kontrolliert. Das Geld kommt später an, es wird besteuert, etwas abgezogen und manchmal ganz beschlagnahmt.

„Wann immer sie uns als ein Risiko einstufen, können sie unser Vermögen innerhalb von Sekunden einfrieren, selbst wenn wir in Kanada sind“, sagte er. Deshalb planen sie, Geld in Bitcoin zu beschaffen und so das ganze restriktive System zu umgehen. Sein Team arbeitet derzeit an der Einrichtung von BTCPay Server – ein Open-Source-Zahlungssystem.

Zaytoon möchte jedoch klarstellen, dass eine antikoloniale Währung für sich genommen keine vollständige Lösung darstellt.

„Monetäre Freiheit muss Hand in Hand mit dem Aufbau unserer Produktionskapazitäten gehen“, sagte er. „Letzten Endes ist jede Währung ein Pseudonym für Ressourcen und wir müssen unsere eigenen Ressourcen aus der Natur gewinnen und sie in wertvolle Produkte umwandeln, die in unserer Gesellschaft zur Förderung von Innovation, Bildung, Gesundheit und gesicherte Lebensmittelversorgung eingesetzt werden können.

„Dabei sollten die Palästinenser eine Währung verwenden, die wir kontrollieren, und nicht eine, die an die israelische Wirtschaft oder den Petrodollar oder etwas anderes gekoppelt ist“, fügte er hinzu.

XI: DIE ZUKUNFT VON BITCOIN IN PALÄSTINA

Vor ein paar Wochen hat die israelische Regierung öffentlich die Beschlagnahmung von Bitcoin-Geldern angekündigt, die mit der Hamas in Verbindung stehen. Es scheint sicher zu sein, dass die IDF damit beginnen wird, Bitcoin als Werkzeug von Terroristen zu verteufeln und vielleicht die Nutzung für Israelis und Palästinenser zu erschweren.

In Anbetracht der Tatsache, dass die israelische Regierung die zentrale Kontrolle möglichst vieler Wirtschaftsströme in und aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland übernommen hat, wird jedes Geld, das außerhalb der „offiziellen Kanäle“ fließt, wahrscheinlich als verdächtig eingestuft. Dies könnte eine abschreckende Wirkung auf die zukünftige Akzeptanz haben.

Aber schon heute gibt es mit Paxful und LocalBitcoins lebendige Peer-to-Peer-Marktplätze in Palästina. Wenn Bitcoin von Hunderten von palästinensischen Unternehmen und Hunderttausenden von Einzelpersonen angenommen wird, dann könnte daraus ein außergewöhnlich wirkungsvoller friedlicher Protest entstehen.

Es besteht die Möglichkeit, dass die Palästinenser – oder jede andere gefährdete Bevölkerungsgruppe, sei es durch ausländische Besatzung, inländischen Autoritarismus, eine zusammenbrechende Wirtschaft oder einen strukturellen Mangel an Möglichkeiten – Bitcoin als neue Währung annehmen. Millionen von Menschen in der Türkei, Argentinien, Nigeria, Iran, Libanon und darüber hinaus haben sich bereits dafür entschieden. 

Mehr als zwei Drittel der Palästinenser sind unter 30 Jahre alt und mehr als 70 % haben Zugang zum Internet. Junge Menschen fühlen sich mit der Idee des mobilen Geldes wohler und werden nach technologischen Lösungen für ihre Probleme suchen. Es ist riskant, aber die Einführung von Bitcoin als Wirtschaftskreislauf könnte den Palästinensern sehr wohl einen Vorsprung vor ihren Nachbarn verschaffen und sie für das nächste Jahrhundert relativ gut positionieren.

El Salvador hat eine Vorlage dafür geliefert, wie ein Land Bitcoin nicht nur zum Sparen für zukünftige Investitionen nutzen kann, sondern auch als Zahlungsnetzwerk, das es den Bürgern ermöglicht, sich mit jedem auf der Welt sofort zu verbinden.

Könnte Palästina das El Salvador des Nahen Ostens sein? Präsident Nayyib Bukele ist schließlich Palästinenser. Seine Großeltern wanderten ursprünglich während des Zerfalls des Osmanischen Reiches aus den Gebieten Jerusalem und Bethlehem nach El Salvador aus. Sein Vater konvertierte sogar zum Islam und „wurde ein prominenter Imam in San Salvador und ein lautstarker Verfechter der palästinensischen Sache“.

Bukele wurde mit den Worten zitiert, dass er sehr stolz auf seine palästinensische Herkunft sei und „gerne einen blühenden palästinensischen Staat sehen“ würde. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass eine Person palästinensischer Abstammung das erste Staatsoberhaupt der Welt ist, das Bitcoin als nationale Währung einführt.

Es steht außer Frage, dass die israelische Regierung, die amerikanische Regierung, die Palästinensische Autonomiebehörde, die Weltbank und die Vereinten Nationen sich alle einem solchen Schritt widersetzen würden. Sie sind alle zu sehr auf den Status quo fixiert. Jegliche Akzeptanz müsste demnach von einer Volksbewegung kommen.

Was die traditionellen Reformversuche betrifft, so wurde in den letzten Wochen die Wiederaufnahme des „Gemeinsamen Wirtschaftsausschusses“ (Joint Economic Committee, JEC) diskutiert – der Organisation, die zur Zeit des Pariser Protokolls gegründet wurde und die letztlich die Befugnis hätte, eine neue Währung für die Palästinenser zu schaffen. Der Gemeinsame Wirtschaftsausschuss ist seit 2009 nicht mehr zusammengetreten und diente hauptsächlich der Überwachung der Aktivitäten in den palästinensischen Gebieten. Die Minister Israels und der Palästinensischen Autonomiebehörde planen jedoch, den Gemeinsamen Wirtschaftsausschuss wieder ins Leben zu rufen und Hindernisse für die wirtschaftlichen Aktivitäten der Palästinensischen Autonomiebehörde zu beseitigen.

Doch die Palästinenser wissen bereits, was auf sie zukommt. Die Bemühungen der israelischen Regierung, der Palästinensischen Autonomiebehörde zu helfen, haben in der Regel nicht viel für den Durchschnittsbürger im Westjordanland oder im Gazastreifen gebracht, abgesehen davon, dass mehr Geld an die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde geflossen ist und neue Kontrollen vor Ort eingeführt wurden. Die erklärten Ziele sind diesmal die Erteilung von 17.000 weiteren Genehmigungen für palästinensische Arbeiter, um „in Israel im Baugewerbe und in der Industrie zu arbeiten“, sowie die Stärkung der Palästinensischen Kraftstoffverwaltung (Palestinian Fuel Administration). Auch hier wird jede Reform wahrscheinlich die Abhängigkeit der Palästinenser von der israelischen Wirtschaft vergrößern und die Palästinensische Autonomiebehörde zusätzlich am Leben erhalten.

Kürzlich wurde bekannt, dass die Palästinensische Währungsbehörde über eine „digitale Zentralbankwährung“ nachdenkt – eine neue Art von Vermögenswert, die Banknoten und Münzen durch eine digitale Schuldverschreibung der Zentralbank ersetzen soll, die der Einzelne auf seinem Handy hat. Die Kritiker äußerten sich unverblümt: „Sie wird weder den Schekel noch den Dinar oder den Dollar ersetzen. Sie wird sicherlich kein Wertaufbewahrungsmittel oder eine Rechnungseinheit sein“, sagte Barry Topf, ein ehemaliger leitender Berater der Bank von Israel.

Die Palästinenser waren nicht in der Lage, ihr eigenes Geld zu prägen – gemäß dem Pariser Protokoll – aber selbst wenn sie es könnten, gibt es keine Garantie dafür, dass die Palästinensische Autonomiebehörde ihre Macht nicht missbrauchen und eine massive Inflation verursachen würde. Bei finanzpolitischen Angelegenheiten hat sie bisher schlecht abgeschnitten. Topf könnte Recht haben.

Darüber hinaus birgt die Schaffung einer „palästinensischen“ Währung (digital oder auf andere Weise) die Gefahr, dass die Machtungleichgewichte, die derzeit in der palästinensischen Wirtschaft bestehen, weiter erhalten bleiben. Würde sie für finanzielle „Inklusion“ sorgen – oder für globalen finanziellen Ausschluss?

Schlimmer noch, die Umstellung der palästinensischen Wirtschaft auf eine digitale Wirtschaft – ob sie nun von der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Weltbank, Israel oder sonst jemandem kontrolliert wird – wäre katastrophal für das bisschen Freiheit, das die Palästinenser durch Bargeld und ihre Schattenwirtschaft erhalten, in der sie außerhalb der staatlichen Kontrolle sparen und Zahlungen durchführen können. Eine CBDC würde mehr schwarze Listen, Konfiszierung und Überwachung ermöglichen, unabhängig davon, von wem sie geschaffen wurde.

XII: AKTIVISMUS JENSEITS VON TUGENDPROTZEREI

Ein großer Teil des Online-Aktivismus für Palästina kann als „Zurschaustellen moralischer Werte“ eingestuft werden. Was bringt das Posten von #FreePalestine tatsächlich? Normalerweise sehr wenig. Aber wenn man jemandem hilft, zu verstehen, wie man Bitcoin benutzt, kann man ihm helfen, ein gewisses Maß an echter Freiheit zu erlangen: die Fähigkeit, seinen Wert vor Beschlagnahmung zu schützen und mit jedem auf der Welt in Verbindung zu treten.

Für ein Volk, dessen Geschichte so sehr von Konfiszierung geprägt ist, gibt Bitcoin den Palästinensern die Möglichkeit, die Früchte ihrer Arbeit und ihrer Zeit in einem Vermögenswert im Cyberspace aufzubewahren, der sich der Kontrolle der Hamas, Israels, der Palästinensischen Autonomiebehörde oder der Weltbank entzieht und mit Mathematik gesichert wird. Er ist ein friedlicher Protest – ein digitales Schutzschild, das zu großen Veränderungen führen könnte.

Dies wurde durch die vielen Interviews bestätigt, die ich zur Erstellung dieses Aufsatzes geführt habe. Neben denjenigen, deren Geschichten erzählt wurden, habe ich mit einem halben Dutzend anderer Palästinenser gesprochen, um Hintergrundinformationen zu erhalten. Sie alle schienen ein paar Dinge zu bestätigen:

Erstens, wie einer sagte: „Wenn wir die Dinge nicht selbst in die Hand nehmen, wird es keine Fortschritte geben.“ Auf allen Seiten existiert ein enormer (und verständlicher) Mangel an Vertrauen in die Behörden sowie die Erkenntnis, dass der Status quo erhalten bleibt, wenn nicht etwas Neues versucht wird.

Zweitens, wenn nur ein paar Menschen Bitcoin benutzen, dann scheint jeder damit einverstanden zu sein, dass die Behörden sie verfolgen und ins Gefängnis stecken. Wenn aber 100.000 Menschen Bitcoin benutzen, dann können sie nichts tun. Der Aufbau einer Bewegung ist das Wichtigste.

Drittens, wenn die politisch linken Kritiker Bitcoin nicht verstehen und ihn weiterhin aus ihrer privilegierten Position heraus angreifen, dann, so sagte einer, „scheinen sie mehr daran interessiert zu sein, über das Problem zu reden, als es tatsächlich zu lösen.“ Ein anderer fuhr fort: „Wo ist ihre Lösung?“

Die Linke lehnt Bitcoin traditionell ab oder ignoriert ihn. Linke Kritiker und Ökonomen bezeichnen ihn oft als nutzlos: ein Schneeballsystem, ein Werkzeug für Kriminelle, eine Umweltkatastrophe und so weiter. Amnesty International und Human Rights Watch schweigen weiterhin zu Bitcoin. Ja, sie haben bewundernswerte Arbeit geleistet, um das Leiden der Palästinenser im Detail zu beschreiben, aber warum sprechen sie nicht über eine Technologie, die so viele von ihnen bereits nutzen, um handlungsfähiger zu sein? Das Gleiche gilt für die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen. Wenn sie sich tatsächlich für eine Veränderung der Situation vor Ort einsetzen will, muss sie das Geld ändern – Bitcoin bietet dafür eine Möglichkeit.

Das Schweigen zu Bitcoin spiegelt sich vielleicht am traurigsten in einer Suche nach dem Begriff auf den Webseiten des etablierten palästinensischen Wirtschaftsexpertenkommission MAS oder der israelischen Bürgerrechtsgruppe B’Tselem wider: null Ergebnisse. Es ist klar, dass die Palästinenser Bitcoin weiterhin annehmen werden. Aber es bleibt unklar, ob ihre Unterstützer auf der ganzen Welt ihnen dabei helfen werden.

Derzeitig haben die Palästinenser keine monetäre Unabhängigkeit, sind zunehmend gezwungen, die Währung ihrer Besatzer zu verwenden, können ihre Kapitalbasis nicht erhöhen, sind konsumfreudiger geworden und haben mehr Schulden am Hals, sind völlig von ausländischer Hilfe abhängig und stehen in Gaza vor dem zivilisatorischen Zusammenbruch.

Als Sarah Roy kürzlich darüber nachdachte, „was zu tun ist“, war eine ihrer Schlussfolgerungen, dass „die Wissensproduktion selbst eine Form des Widerstands ist“.

Es gibt nichts zu verlieren, wenn man Informationen über Bitcoin weitergibt, die bereits so vielen Palästinensern geholfen haben. Vielleicht kann das größte Open-Source-Geldprojekt der Welt dort helfen, wo alles andere versagt hat.

XIII: FIX THE MONEY, FIX THE WORLD 

In der Bitcoin-Gemeinschaft gibt es ein Sprichwort: „Fix the money, fix the world“ (Gesundes Geld, gesunde Welt).

Offensichtlich ist Geld nur ein Teil unseres sozialen Gefüges. Aber es ist ein sehr wichtiger Teil, und wenn die Palästinenser nicht in der Lage sind, ihr Geld in Ordnung zu bringen, werden sie auch nicht in der Lage sein, ihre Welt in Ordnung zu bringen.

Am Ende meines Gesprächs mit Uqab erzählte er mir, dass viele Menschen in Gaza so verzweifelt sind, dass sie ihre Häuser für Bitcoin verkaufen. Das Gleiche gelte für Unternehmen. „Jedes Unternehmen, das in Gaza eröffnet wird, ist zum Scheitern verurteilt“, sagte er, „also verkaufen die Besitzer es lieber, als es zu behalten.“

Er sagte, sie kalkulieren folgendermaßen: Immobilien in Gaza werden immer mehr an „Wert verlieren“ – wenn also Bitcoin im schlimmsten Fall abstürzt, dann würde sich „für uns nur wenig ändern.“

Aber wenn Bitcoin seine historische Entwicklung fortsetzt und gegenüber Fiat-Währungen an Wert gewinnt? „Dann haben wir eine Tür zur Freiheit.“

„Ich spare für meine Kinder“, sagte er, kurz bevor wir auflegten. „Bitcoin wird mein Ticket hier raus sein.“


Dies ist ein Gastbeitrag von Alex Gladstein im Bitcoin Magazine. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

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