Du brauchst keinen Bitcoin-Job!

Von Juniormind, erschienen am 12. Juli 2023 auf dem Apricot-Media Blog, Lektorat durch actionslave.


Hör nicht (unbedingt) auf, für Fiatgeld zu arbeiten – hör auf, Dich deshalb schlecht zu fühlen.

Auf der BTCPrag war es – wie auf jedem Bitcoiner-Event – eine häufig gehörte Klage:

–       „Ich habe einen Fiat-Bullshitjob“ 

–       „Ich würde viel lieber im Bitcoinspace arbeiten“

–       „Ich will meinen Beitrag leisten“

Bewunderung und vielleicht auch ein wenig Neid gibt es für diejenigen, die oft unter persönlichen Opfern und Gehaltseinbußen sich auf irgendeine Weise ihren (Arbeits-)Platz im Bitcoinspace erarbeitet haben. 

Anders als im Fiat-System gibt es dort keine gutbezahlten Cantillionärs-Jobs. Und weil Bitcoin unzensierbar ist, gibt es hier auch keine Gatekeeper- zu deutsch Schleusenwärterjobs. 

Kurz: in Bitcoin wirst Du hauptsächlich für Deinen tatsächlich erbrachten Nutzen bezahlt, und nur selten für die Abarbeitung und Erfüllung von Bullshitregeln irgendwelcher Behörden oder behördennaher Firmen (hauptsächlich Banken). Daraus folgt: wenn man aus einem solchen Fiat-Job in einen sinnstiftenden Bitcoin-Job wechseln möchte, wird man höchstwahrscheinlich am Monatsende mit weniger Gehalt nach Hause gehen.

Denn wir sind halt nicht alle Rockstar-Entwickler, oder frugale Asketen die sich daran nicht stören.

Trotzdem bleibt auch bei mir dieses nagende Gefühl der Feigheit, persönlichen Risiken aus dem Weg zu gehen, die erforderlich wären, um möglicherweise den Fiatjob endlich an den Nagel hängen zu können, ohne gleich auf der Straße zu landen.

Na toll, zusätzlich zur Flugscham, Fleischscham und Konsumscham darf ich mich jetzt also noch mit selbst zugefügter Fiatscham herumärgern.

Vermutlich könnte ich mich unter erheblichen Einschränkungen meiner Lebensqualität in Richtung frugaler Lebensweise irgendwie zumindest eine Zeitlang vom Erzeugen und Übersetzen von Bitcoin-Content über Wasser halten. Und mich dann selber feiern, dem „Scheißsystem“ nicht mehr so viele Steuern abzudrücken.

Aber wäre das vernünftig? Auch aus Sicht der Bitcoin-Community?

Denn die Opportunitätskosten für Bitcoin wären erheblich. Ich würde zwar im Fiat-System keinen „Nutzen“ mehr stiften, und nur noch magere Steuern auf mein dann mageres Einkommen abdrücken, für Bitcoin zwar irgendwie nützlich sein, aber nicht so produktiv wie ein Rockstar. Gemessen in Sats. Oder auch Euro. Oder Pull-Requests.

Ich möchte eine Gegenrechnung aufmachen.

Der Spitzensteuersatz von 42% in Deutschland fängt bei einem Gehalt von 58.600,- EUR an. Das durchschnittliche Akademikergehalt liegt auch bei 58.600,- EUR (Juni 2023, Antworten aus Google). Was für ein Zufall. Aber das ist ein anderes Thema.

Nehmen wir an, man hat bereits eine etwas erfolgreichere Karriere hinter sich, allerdings nicht gerade als Softwareentwickler, und verdient in einem gefühlten Bullshitjob 60.000,- EUR p.a. Und letztlich sind ja alle Fiat-Jobs Bullshitjobs, jedenfalls für toxische Maximalisten. Der Job wird also super bezahlt, auch wenn Du weißt, dass Du ihn mit ChatGPT-Unterstützung vermutlich in 25% der Zeit erledigen könntest. Nur hat das zum Glück noch niemand Deinem Chef erzählt.

Nehmen wir weiter an, man würde im Bitcoinspace mittelfristig ein Einkommen von 30.000,- EUR p.a. erreichen können. Man verzichtet also darauf, dem Fiatsystem 60.000,- EUR brutto (netto 41.000,- EUR bei Steuerklasse 3) zu entziehen und zu stacken, nur um sich auf Basis von 30.000,- p.a. brutto, d.h. 23.000,- netto (s.o.) besser zu fühlen. Was wäre aber, wenn man stattdessen weiterhin dem leidigen Fiatjob nachgeht und selber eine Art kleines Entwickler-Stipendium an erheblich talentiertere Menschen ausreicht? Möglichst gegen eine vom Finanzamt akzeptierte Spendenbescheinigung, damit man der Fiatwelt noch mehr Geld entzieht, die man dem Bitcoinspace zur Verfügung stellen kann.

In Deutschland ist es zulässig, jährlich 20% vom Einkommen zu spenden und von der Steuer abzusetzen. Wenn man also bereit wäre, 20% von 60.000,- EUR zu spenden, und dafür eine Steuererstattung von 35% erhält (d.h. für die 12.000,- EUR Spende 4.200,- EUR vom Finanzamt zurück bekommt), dann hätte man statt 41.000,- EUR netto (s.o.) „nur“ noch 33.200,- EUR netto übrig. Das würde einem vermutlich immer noch deutlich mehr Luxus erlauben, als den Job zu schmeißen und digitaler Nomade mit Bitcoin-Job in einem Land mit möglichst niedrigen Lebenshaltungskosten zu werden. Die eigene Fiatscham durch einen schlechter bezahlten Bitcoin-Job zu bewältigen würde Bitcoin also 12.000,- EUR an Entwickler- oder Projekt-Stipendien entziehen – ist es das wirklich wert?

Ich will den „moral hazard“ dieser Denkweise nicht verschweigen. Wir bewegen uns auf dem dünnen Eis des „effective Altruism“, von dem unter anderem Sam Bankman-Fried (FTX) ein höchst fragwürdiger, aber auch prominenter Verfechter war. 

Das Argument lautet ungefähr so: statt selber in Afrika als ungelernte Hilfskraft mit dem Spaten Brunnen zu buddeln, nur um sich besser zu fühlen, ist es deutlich effektiver, so viel Geld wie möglich zu verdienen, und davon Brunnenbauer mit geeigneten Maschinen zu bezahlen, die erheblich mehr Brunnen errichten werden, als man es selber jemals geschafft hätte. 

Klingt ja super, führt aber in der Extremversion zu folgendem: ich gründe FTX, betrüge Millionen Kunden und verblase Milliarden Dollar, greife dabei selber zig Millionen ab, aber weil ich damit ja den Welthunger abschaffen kann – und im Falle SBF auch jede Menge Parteispenden springen lasse – geht das schon in Ordnung. Oder gehe beim Versuch pleite. Kann ja auch sein.

Und dafür, als reale Version von Francisco d’Anconia in die Geschichtsbücher einzugehen, fehlt den Allermeisten wohl erst recht Talent, Mut und der Wille, zum echten Piraten zu werden.

Fazit

Es geht hier keinesfalls darum, anderen Plebs ein schlechtes Gewissen einzureden, die lieber HODLn als in FOSS zu SPENDln. Ganz im Gegenteil! 

Nur wenn die Fiatscham ohnehin schon da ist, möchte ich die genannte Alternative vorschlagen. Um das Gewissen in den Griff zu kriegen, ohne unbedingt unter großen Kompromissen den eigenen Job an den Nagel zu hängen.

Konkret heißt das:

–       Bist Du eh auf Jobsuche, brauchst Du keine Fiatscham zu empfinden.

–       Lebst Du von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck und HODLst für Deinen Geschmack eh zu wenig, dann ist Fiatscham auch hoffentlich keines Deiner Probleme.

–       Hast Du jedoch ein gutes Auskommen und trägst Dich mit dem Gedanken, auch unter Gehaltseinbuße in den Bitcoinspace wechseln zu wollen? Dann überlege, ob Du nicht nützlicher für Bitcoin sein kannst, wenn du einen Teil Deines guten Gehaltes großzügig an Projekte oder Organisationen spendest, die Bitcoinprojekte unterstützen – möglichst gegen Spendenbescheinigung, um den Fiskus auch an der Spende zu beteiligen.

–       Und wenn Du Bitcoin obendrauf noch ehrenamtlich helfen möchtest, wirst Du jede Menge Möglichkeiten finden, dies zu tun: Menschen in Deinem Umfeld orangepillen und danach mit Rat und Tat unterstützen, Meetups organisieren, nützliches Helferlein bei Bitcoin-Events sein, Content produzieren oder übersetzen usw.

Viele Fiat-Jobs sind nützlich, auch wenn Du in Shitcoins bezahlt wirst. Bist Du richtig gut in Deinem Job, und ist dieser Job auch in einem Bitcoin-Standard noch wichtig (ja, Bäcker Lutze, Dein Brot brauchen wir natürlich auch dann noch), dann wäre es sinnlos, Dein Talent zu vergeuden, nur um „irgendeinen Bitcoin-Job“ zu machen. Du kannst Dein berufliches Umfeld auch so orange-pillen, mehr als in einem Bitcoin-Job, wo ohnehin alle Kollegen schon überzeugt wären. Und nicht jeder ist dazu geeignet, die Bitcoin Core-Entwicklung zu unterstützen oder gar davon leben zu können, so sehr sich das ein Hobby-Entwickler wie ich es sich auch wünschen würde.

Deshalb: Fliegt in den Urlaub, wenn ihr es Euch leisten wollt und könnt. Esst Fleisch, wenn ihr mögt. Konsumiert, was Eure Zeitpräferenz Euch nahelegt. Und geht Fiat-Jobs nach, solange es sich für Euch lohnt und Euer Gewissen es erlaubt. Und wenn Ihr könnt: unterstützt Menschen im Bitcoin-Space finanziell, die (noch) viel talentierter in ihrem Job sind als ihr es im Moment sein würdet.

P.S.: Nachdem ich den Artikel zur Beurteilung an die ersten Plebs verteilt habe, sind mir zwei wichtige (englische) Artikel zum gleichen Thema aufgefallen:

https://bitcoinfoqus.com/fiat-mining/

https://bitcoinmagazine.com/culture/what-can-you-do-for-bitcoin

Wie immer ist es verdammt schwer, wirklich originelle Gedanken zu Bitcoin zu haben – wir stehen alle auf den Schultern von Giganten. 

Fußnoten

  1. Der guten Ordnung halber sei hier darauf hingewiesen: ich bin kein Steuerberater, und bevor Du Deine eigenen Schlüsse ziehst oder gar Geld spendest, sprich mit einem Steuerberater über Deine individuelle Situation. 
  2. der höchst effektive Saboteur des korrupten Wirtschaftssystems aus Atlas Shrugged von Ayn Rand.

Dies ist ein Gastbeitrag/Beitrag von Juniormind. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

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