3 – Krypto ist kein Finanzwesen

Abschnitt 3 von Nur die Stärksten überleben, aus dem Original „Only the strong survive“ von Allen Farringtonund BigAL, erschienen am 19.09.2021 auf seiner Webseite. Übersetzt von BitBoxer, Lektorat durch Juniormind.


Es gibt drei Möglichkeiten, in diesem Geschäft Geld zu verdienen: der Erste sein, schlauer sein oder betrügen.

Jeremy Irons als John Tuld in Margin Call, über „Krypto“

Kurze Zusammenfassung:

In Abschnitt 3 stellen wir fest, dass Kryptowährungen, die nicht auf Bitcoin basieren, sich selbst als Bootstrapping für ihren eigenen Wert positioniert haben, indem sie einen finanziellen Nutzen statt Geld bieten, und wir argumentieren, dass dies wahrscheinlich grundsätzlich nicht nachhaltig ist und das Kernproblem nicht löst. Darüber hinaus argumentieren wir, dass die meisten Vorstellungen der Gesundheit des Ökosystems sinnvollerweise nur als vorübergehend interpretiert werden können – seien es „Bewertungs“-Metriken, Liquiditäts- und Solvenz-Garantien oder die Aussicht auf eine Verbindung zur realen wirtschaftlichen Produktivität.

In Abschnitt 4 findest du eine kritische Betrachtung der typischen Gründe für Investitionen in diesem Bereich, soweit wir sie zu erkennen glauben.

Wir bekräftigen unsere Unterstützung für das Konzept des dezentralisierten Finanzwesens im Allgemeinen und weisen darauf hin, dass unsere Einwände gegen die gegenwärtigen Kryptowährungen nicht in ihren angeblichen Zielen, sondern in der Art und Weise bestehen, wie sie diese Ziele zu erreichen versuchen. Wenn überhaupt, sind wir der Meinung, dass die Umsetzung das Konzept verrät, auch wenn es im Moment noch nicht weit verbreitet ist. In Abschnitt 2 haben wir unsere Ansicht dargelegt, dass die technischen Designentscheidungen unbeabsichtigt jedes Element der Dezentralisierung bedrohen, das für ein passables „dezentralisiertes“ Finanzwesen sicherlich notwendig ist. In diesem Abschnitt bewerten wir die wirtschaftlichen Vorzüge (oder Nachteile) der „Finanzen“, die dieses System realisiert.

Wir glauben, dass die meisten Krypto-Projekte versucht haben, den in Abschnitt 2 erläuterten Problemen zu entgehen, indem sie Werte durch Nutzen statt durch Sicherheit katalysieren, wobei sie sich bisher vor allem für den Nutzen in Finanzanwendungen entschieden und daher den Namen „DeFi“ angenommen haben.4 Wir glauben, dass dies wahrscheinlich böse enden wird, weil die Basisschicht weder Geld noch sicher ist. Das „Finanzwesen“, das derzeit konstruiert wird, scheint daher den perversen Effekt zu haben, dass es die ursprüngliche Fragilität, die sich aus der technischen und wirtschaftlichen Unzuverlässigkeit ergibt, noch verstärkt, aber sich auch Zeit und Aufmerksamkeit in den Köpfen derer verschafft, die sich all dessen noch nicht voll bewusst sind. Eine wohlwollende Charakterisierung könnte lauten, dass man hofft, den Wert über den Nutzen zu steigern; eine härtere Charakterisierung wäre, dass es sich um einen Versuch handelt, sich aus Verschuldung herauszuleihen: monetär und technisch. Kurz gesagt, was auch immer es ist, Krypto ist kein Finanzwesen.

Um eine gewisse konzeptionelle und rhetorische Grundlage für eine scheinbar pauschale Behauptung zu schaffen, betrachten Sie den Ausdruck yield farming – ein Konzept, das enormes Interesse und Kapital in das Krypto-Ökosystem gebracht hat. Das Konzept bezieht sich nicht auf eine echte „Rendite“. Eine Rendite ist der erwirtschaftete Kapitalfluss, der über die Instandhaltung oder Abschreibung der Tragfähigkeit eines Bestands an wirtschaftlich produktiven Vermögenswerten hinausgeht. Abzüglich des zurückgewonnenen Saatguts für die Ernte des nächsten Jahres ist eine Ernte eine Rendite eines bestellten Feldes. Abzüglich der Finanzierungskosten sind die Zinsen für eine Anleihe ein Ertrag. Wenn das Unternehmen, das die Gewährung der Anleihe vornimmt, solvent und rentabel ist und somit der Nennwert des Kapitals relativ sicher ist, wird sich der Markt auf einen Wert einigen, der die Wahrscheinlichkeit beinhaltet, dass alle Zinsen wie versprochen gezahlt werden. Der Markt bewertet die produktive Tragfähigkeit des wirtschaftlichen Bestands, der die Fähigkeit zur Zahlung des Zinsflusses erzeugt.

Welche Rendite wird also in der Krypto-Wirtschaft erwirtschaftet? Es gibt offensichtlich keine. Es gibt Geldflüsse, aber sie werden nicht von wirtschaftlich produktiven Vermögenswerten im Laufe der Zeit generiert, sondern erscheinen fast augenblicklich als Ergebnis der spekulativen Preisbildung bei nicht-produktiven Vermögenswerten. Das Wort „spekulativ“ ist keine Verunglimpfung. An spekulativen Werten ist nichts auszusetzen. Aber es hat etwas Bizarres und Zirkuläres, wenn Diskrepanzen zwischen verschiedenen Spekulationen über den potenziellen künftigen Wert selbst die Grundlage für eine profitable Arbitrage bilden, die dann fälschlicherweise als „Rendite“ bezeichnet wird.

Vielleicht ist dies nur eine Frage der Semantik? Definieren Sie es nicht als „Rendite“, sondern als Arbitrage, wie sie für jede Marktaktivität typisch ist. Das normale Marktmachen selbst beruht auf dem Handel zwischen denjenigen, die natürlich in ihrer Einschätzung des spekulativen Wertes nicht übereinstimmen. Aber der spekulative Wert wovon?

Von Renditen! Das ist das Wesen der Spekulation, im Gegensatz etwa zu einer Schätzung. Die meisten Finanzanlagen werden auf der Grundlage ihrer diskontierten künftigen Cashflows bewertet – das heißt, zumindest psychologisch und philosophisch, wenn auch nicht mathematisch. Kaum ein erwähnenswerter finanzieller Vermögenswert ist in der Lage eine Rendite zu erwirtschaften, und hat im Moment einfach nur einen Wert, den ein potenzieller Käufer für falsch bewertet hält – zumindest kaum eines mit einer nennenswerten Kapitalisierung, die es für die breiteren Kapitalmarkt-Aktivitäten relevant macht. Die „Spekulation“ ergibt sich aus der Unfähigkeit, die Zukunft zu kennen. Renditen lassen sich nur mit Zeit und Geschick erzielen. Keine reale Rendite wird sofort durch Arbitrage erzielt, und daher erreicht auch keine reale Finanzanlage auf diese Weise ihren Wert und ihren Preis. Finanzielle Vermögenswerte müssen ihren Wert im Grunde genommen aus einer Spot-Bewertung oder aus der Aussicht auf eine künftige Produktivität aus einem Bestand an ertragsbringenden Kapazitäten ableiten. Tut das Krypto?

Nein. Merkwürdigerweise ist das der einfache Teil der Antwort. Zu verstehen, was passiert, ist oft viel komplizierter. Der Rest dieses Abschnitts gliedert sich in die folgenden Unterabschnitte, um den recht komplizierten Gedankengang nachzuvollziehen:

  1. eine Analyse der Art und Weise, wie das Krypto-Ökosystem die Weiterverpfändung, die Hebelwirkung und die Verbriefung, die großzügig aus dem traditionellen Finanzwesen übernommen wurden, aber in diesem Umfeld keinen kohärenten Zweck erfüllen, umfasst und fördert,
  2. wie diese drei gemeinsam dazu beitragen, systemische Fragilität zu schaffen, so dass im Allgemeinen immer wieder Kapital nachfließen muss, um das System scheinbar gesund zu erhalten, und,
  3. eine Analyse der Art und Weise, wie die populären und gebräuchlichen Messgrößen in besorgniserregender Weise sowohl die in Unterabschnitt I.) analysierte Fragilität verschleiern als auch die Fortsetzung der systemisch notwendigen Kapitalzuflüsse fördern, wie sie in den Unterabschnitten II.) und III.) analysiert werden.

I) Weiterverpfändung, Hebelwirkung und Verbriefung

Der erste Punkt, den wir hervorheben möchten, ist die immense Menge an Weiterverpfändung von Vermögenswerten, die heute im Krypto-Ökosystem stattfindet. Was wir mit „Weiterverpfändung“ meinen, ist recht einfach, wenn auch ein wenig anders als im traditionellen Finanzwesen (und schafft daher das Potenzial für eine Menge Verwirrung, die wir ebenfalls zu zerstreuen hoffen): Ein bestimmter Vermögenswert kann als „Sicherheit“ in einem Protokoll verwendet werden, zur Prägung eines neuen Vermögenswertes beitragen, und dann entweder:

  • selbst, 
  • als besichertes „Endprodukt“ oder
  • als verbriefte Governance-Rechte,

wiederverwendet werden, und zwar immer wieder in mehreren verschiedenen Protokollen. Es ist in der Tat schwierig, diese drei separaten Konzepte zu trennen, weshalb wir sie alle auf einmal behandeln. Die Hebelwirkung an sich wäre vielleicht nicht so schlimm, wenn die „Rechte“ an dem gehebelten „Endprodukt“ nicht auf zweifelhafte Weise verbrieft wären. Auch die Verbriefung an sich wäre nicht besorgniserregend, wenn die Verbriefungstoken nicht als „Sicherheiten“ verwendet und unbegrenzt weiterverpfändet würden.

Betrachten wir ein Beispiel dafür, wie Vermögenswerte im Krypto-Ökosystem wiederverwendet und recycelt werden können und werden:

  1. Für den Anfang nimmt ein Nutzer 1500 US-Dollar an Ether, zahlt sie bei Maker ein und erhält im Gegenzug 1000 US-Dollar des DAI-Stablecoins. Dieser setzt eine Besicherungsquote von 150 % voraus, ein zweifelhaftes Maß, aber für den Moment reicht es.
  2. Der Nutzer zahlt dann die neuen DAI sowie 1000 US-Dollar an Tether in den Curve 3-Pool ein und wird zum Liquiditätsanbieter mit insgesamt 2000 US-Dollar Einsatz in die Liquidität des Pools.
  3. Als Liquiditätsanbieter erhält der Nutzer neben den Gebühren auch einen CRV-Token für seine Tätigkeit als Liquiditätsanbieter. Der CRV-Token wurde vom Protokoll als „Governance“-Token ausgegeben. Der Wert des CRV-Tokens soll sich aus den Stimmrechten ergeben, zum Beispiel für den Zugang zu der Treasury oder andere vom Protokoll generierte Gebühren. Heutzutage und in den meisten Krypto-Protokollen sind die „Treasury“ dieser Protokolle eigentlich nur diese selbst geschaffenen Token.
  4. Diese CRV-Token können dann von den Nutzern über ein Verleih-Protokoll wie beispielsweise Aave verliehen werden. Bei Aave kann der Nutzer die erhaltenen CRV-Token hinterlegen und dafür Zinsen erhalten, oder sie in einem anderen Protokoll gegen Stablecoins absichern.
  5. Sobald der „Stablecoin“ aus den CRV generiert ist, die der Nutzer gerade als Sicherheit verwendet hat, steht es dem Nutzer frei, diese „Stablecoins“ wiederzuverwenden, um eine weitere Runde von „Investitionen“ zu tätigen, was theoretisch zu Schritt 2 oben zurückführt.

Lassen Sie uns Curve und 3pool ein wenig genauer analysieren. Curve ist ein automatisierter Marktmacher, der den Transfer von verschiedenen Ethereum-basierten Vermögenswerten zwischen handelswilligen Nutzern erleichtert. 3pool ist ein Pool für Stablecoins, der es Nutzern ermöglicht, DAI, USDC und USDt auszutauschen und Teilnehmer mit CRV, dem Curve „Token“, zu belohnen.

Liquiditätsanbieter in 3pool – Nutzer mit einem Guthaben an Stablecoins – hinterlegen eine anteilige Anzahl von DAI, USDC und USDt, um Liquidität für diese Börsen bereitzustellen. Als Gegenleistung für das Einsetzen dieser Vermögenswerte erhalten die Liquiditätsanbieter eine Vergütung in zwei verschiedenen Formen. Es gibt eine „Swap-Gebühr“, die man sich so vorstellen kann, dass die Nutzer oder „Nehmer“ eine Gebühr an die Liquiditätsanbieter zahlen: in diesem Fall Stablecoins. Außerdem gibt es eine Einsatzvergütung, auf die die Liquiditätsanbieter Anspruch haben. Als Gegenleistung für die Bindung der Basiswerte an das Curve-Protokoll erhalten die Liquiditätsanbieter einen bestimmten Betrag an CRV als Belohnung. Die Höhe der Transaktionsgebühr ist ebenfalls abhängig von der Höhe des eingesetzten Wertes. Auch wenn es nicht als solches beworben wird, kann man sagen, dass diese Einsatz-Belohnungen effektiv über ungesicherte Seigniorage gezahlt werden, die das Protokoll nutzt, um Anreize für die Bereitstellung von Liquidität zu schaffen.

Als Nächstes möchte ich auf das native Token für Curve eingehen. Warum dieser Token einen Wert haben und wie er verwendet werden soll, ist unklar. Der Token hat ein programmatisch unbegrenztes Angebot und ein vages Wertversprechen für jeden Investor. Der Anspruch auf „echte“ Geldflüsse ist unklar, selbst wenn die Definition so weit gefasst ist, dass sie möglicherweise aus dem Empfangen anderer Ethereum-basierter Token besteht. Hinzu kommt, dass der einzige Grund, warum jemand seine CRV-Token aus Sicht der Kapitalallokation weiterhin halten würde, ein Mechanismus ist, der mehr „Belohnungen“ in Form von Handelsgebühren für fortgesetzte Einsätze bietet.

Klingt das nicht ziemlich verworren? Wir sprechen von einem Token, dessen einziger nachweislicher Nutzen und Funktion darin besteht, in das System, das ihn erschafft, wieder eingefügt zu werden, um mehr von ihm zu erschaffen. Das Ablenkungsmanöver der „Governance-Rechte“ scheint den Inhaber nur zu berechtigen, zur „Governance“ dieses Prozesses der Schaffung von mehr von sich selbst beizutragen, und sonst nichts.

Dies hängt eindeutig von frischem Kapital  ab, das in das System fließt, um das System aufrechtzuerhalten. Aber was passiert, wenn die Menschen eines Tages beschließen, dass sie einen alternativen Vermögenswert besitzen möchten, der tatsächlich Zugang zu realen Cashflows bietet oder der eine dauerhaftere Grundlage für seine Spot-Bewertung hat? Wir gehen davon aus, dass ein „Bank-Run“ den Wert von CRV kaskadenartig nach unten drückt und damit auch das Wertversprechen von laufenden Liquiditätspools zunichtemacht. Krypto-Investoren, die derzeit CRV besitzen, scheinen größtenteils zu verstehen, dass ein Großteil der Governance heute unproduktiv ist, hoffen aber, dass das Protokoll in Zukunft weiter reifen wird und diese Token aufgrund ihrer Governance-Rechte an Wert gewinnen werden. Offensichtlich sind wir da skeptisch.

Abbildung 1: Erläuterung, warum CRV einen Wert hat

Wir verwenden Curve als Beispiel, weil es gleichzeitig mehrere von uns diskutierte Risiken innerhalb eines Subsystems der Kryptowährung verkörpert. Curve ermöglicht den Handel von Ethereum-basierten Vermögenswerten gegeneinander, von denen viele (möglicherweise alle) von vornherein einen Marktwert haben, der durch genau den Prozess gerechtfertigt ist, den wir gerade analysieren, bei dem die zugrunde liegenden Vermögenswerte entweder auf die Werte der anderen Vermögenswerte oder auf Governance-Rechte über die Ströme dieser Vermögenswerte (von denen angenommen wird, dass sie einen Wert haben, daher wird angenommen, dass die Rechte einen Wert haben) referenziert werden. Und als Sahnehäubchen auf dem Kuchen hat Curve seinen eigenen Token geschaffen, dessen einziger Nutzen oder Funktion darin besteht, sich wieder in dasselbe System einzubringen und so dem Curve Token-Ökosystem und den Kryptowährungen insgesamt noch mehr Pseudo-Hebel zu verschaffen.

Eine weitere Ebene ist, dass viele andere Krypto-Protokolle Nutzer-Gelder aggregieren, um ihnen zu helfen, Liquiditätsanbieter in Curve zu werden. Ein Beispiel ist ein Protokoll namens Yearn Finance, das Nutzer-Gelder aggregiert und in Protokolle wie Curve einzahlt, um die Arbeit des automatisierten Marktmachens zu erledigen, und den ursprünglichen Geldgebern Anspruch auf Zinsen zu geben (die als „Rendite“ bezeichnet werden, aber wir wissen es besser). Plötzlich haben wir ein Krypto-Protokoll (yEarn), das so aufgebaut ist, dass es Gelder anderen Krypto-Protokollen (in unserem Beispiel Curve) zuweist, wobei die Nutzer Zinsen aus den Gebühren und wiederum dem Curve-Token, CRV, aber jetzt auch dem YFI-Token erhalten. Aus der Sicht eines Nutzers, der einfach nur eine „Rendite“ erzielen möchte, ist YFI ein brillantes Angebot. Wie die Rendite generiert wird und was sie tatsächlich darstellt, sowie die zugrunde liegenden Risiken sind das, was uns Sorgen bereitet. Lustigerweise gibt es sogar noch andere Projekte, die an Yearn Finance angehängt werden, insbesondere Alchemix, aber wir denken, dass unsere Bedenken an dieser Stelle bereits geäußert wurden. Lassen Sie uns einfach sagen, dass wir keinen praktischen Grund sehen, warum dieser iterative Prozess jemals enden sollte …

Alles in allem haben wir gesehen, wie ein Start mit 1500 US-Dollar an ETH und 1000 US-Dollar an Tether dazu führen kann, dass mehrere verschiedene Stufen von Vermögenswerten geschaffen und recycelt werden, entweder über eine implizite Form der Hebelwirkung oder eine implizite Form der Verbriefung. Wir verwenden (erneut) das Wort „implizit“, da diese Aktivitäten innerhalb des Ökosystems nicht offen als „Hebelwirkung“ oder „Verbriefung“ bezeichnet werden, obwohl sie den traditionellen Finanzkonzepten am nächsten kommen: Einige der beteiligten Protokolle (MakerDAO oben) nehmen eine Art „Einlagen“ entgegen und prägen neue Vermögenswerte (suggestiver: Kreditinstrumente), die einen gewissen Wert in Abhängigkeit vom Wert der Einlage haben. Dies ist im Wesentlichen die Rolle einer Bank bei der Schaffung von Hebelung. Einige andere der beteiligten Protokolle (Curve oben) prägen neue Vermögenswerte (besser gesagt, Wertpapiere) auf der Grundlage des Wertes, der der Kontrolle über die eine oder andere Ressource zugeschrieben wird. Dies ist im Wesentlichen die Rolle der Investmentbanken (oder der Kapitalmärkte im Allgemeinen, aber das ist möglicherweise nur Semantik) bei der Verbriefung.

Es ist zu betonen, dass Weiterverpfändung, Hebelwirkung oder Verbriefung nicht unbedingt etwas Schlechtes sind, wenn sie richtig und transparent eingesetzt werden. Unsere Besorgnis besteht vielmehr darin, dass sie unsachgemäß und undurchsichtig eingesetzt werden, sodass systemische Risiken entstehen, die scheinbar völlig unbemerkt bleiben, oder deren Auswirkungen perverserweise missverstanden und gefeiert werden!

Krypto-Befürworter führen zum Beispiel oft die „Übersicherung“ als Grund an, um sicher zu sein, dass die Dinge nur so und soweit schiefgehen können, oder dass wir, wenn etwas schiefgeht, relativ sicher sein können, dass die verschiedenen Strukturen sicher rückabgewickelt werden können und die Kapitalgeber vollständig entschädigt werden. Um die Terminologie zu klären, bevor wir uns in die Tiefe begeben, bedeutet x % Besicherung, dass jede 100 US-Dollar an synthetischen Vermögenswerten mit x US-Dollar (das heißt x % von 100 US-Dollar) an Sicherheiten unterlegt sind. Mit y % Überbesicherung ist gemeint, dass eine synthetische Anlage zu 100+y % besichert ist. Wir werden versuchen, bei ersterem zu bleiben, um Verwechslungen zu vermeiden, es sei denn, es lässt sich nicht vermeiden.

Der Gedanke, dass eine Überbesicherung Sicherheit bietet, könnte schön sein, wäre da nicht ein naiver arithmetischer Fehler in der soeben vorgestellten Argumentation: Nur eine Besicherung von 200 % (oder mehr) kann dies systemisch erreichen. Bei jedem niedrigeren Verhältnis gibt es eine gewisse Anzahl von Iterationen der Weiterverpfändung von Sicherheiten, sodass der Wert der ausstehenden Ex-Sicherheiten größer ist als die Sicherheiten. Nehmen wir zur Veranschaulichung das einfache Beispiel von 150 %:

Für die Ausgabe von 100 US-Dollar von StableAliceCoin sind 150 US-Dollar (in Form von echten Dollars) als Sicherheit erforderlich, und ebenso für die Ausgabe von 100 US-Dollar von StableBobCoin. Wenn wir unsere 100 US-Dollar an SAC nehmen und sie als 150-prozentige Übersicherung für die Ausgabe von 67 US-Dollar an SBC verpfänden, beträgt unser synthetisches Bruttorisiko bereits 167 US-Dollar bei nur 150 US-Dollar an „echten“ Sicherheiten. Tatsächlich können wir diesen Vorgang immer wieder wiederholen, SBC verpfänden, um mehr SAC zu emittieren, und so bis zu einer Grenze von 300 US-Dollar für den synthetischen Gesamtwert vordringen. Eine 175-prozentige Besicherung würde drei Iterationen erfordern und nähert sich nur einem Grenzwert von 233 US-Dollar. 200 % werden nie durch einen synthetischen Wert überholt, der die Sicherheiten übersteigt, und der Grenzwert für unbegrenzt viele Weiterverpfändungen nähert sich 200 US-Dollar. (Anhang B erläutert die Algebra, aus der alle in dieser Diskussion vorgestellten Zahlen hervorgehen).

All dies zeigt, abgesehen von jedem einzelnen Beispiel, dass der Begriff „Übersicherung“ einerseits isoliert betrachtet etwas ganz anderes bedeutet als in einem Umfeld, in dem Vermögenswerte endlos weiterverpfändet werden können („Geld-Legosteine“, könnte man sagen). Was wir erreichen, ist in Wirklichkeit eine Pseudo-Hebelwirkung. Niemand denkt, dass er ein nennenswertes Kapitalrisiko eingeht, weil alles überbesichert ist. Und doch ist das gesamte Ökosystem unterkapitalisiert. Weit davon entfernt, größere Transparenz, Sicherheit usw. zu ermöglichen, schafft diese Verbindung von potenziell individuell robusten Elementen auf perverse Weise eine systemische Anfälligkeit.

Dies mag dem partiellen Mindestreservesystem seltsam ähnlich sein, zumal die Algebra ein Déjà-vu verursacht. Was wir als Prozentsatz der „Überbesicherung“ bezeichnet haben, könnte man auch als „Mindestreservesatz“ bezeichnen, falls der Leser die ganze Algebra für sich selbst übersetzen möchte. Aber natürlich gibt es zahlreiche drastische Unterschiede, und allein die Tatsache, dass der Vergleich möglich ist und die Algebra übersetzt werden kann, sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Wir sehen hier drei offensichtliche Probleme, obwohl es natürlich noch mehr geben kann.

Erstens sind Mindestreserveguthaben keine „Sicherheiten“, sondern die Gelder der Sparer, die auf Risiko verliehen und für produktive Zwecke eingesetzt werden. Der „Zweck“ bei Kryptowährungen ist ab heute nicht mehr produktiv, sondern eine fortgesetzte und scheinbar endlose Rekombination der Instrumente. Der Zweck realer Sicherheiten besteht gerade darin, dass sie nicht weiterverpfändet werden, sondern dazu dienen, den Wert eines verbrieften Schuldvertrags zu garantieren, da die offensichtliche Möglichkeit besteht, dass der Kredit selbst aufgrund des Scheiterns eines realen Wirtschaftsunternehmens ausfällt. Bei Kryptowährungen gibt es keines dieser Finanz-Primitive, sodass es völlig unklar ist, was der Zweck von „Sicherheiten“ überhaupt ist – oder, vielleicht noch härter, ob das Konzept der „Sicherheit“ überhaupt gilt.

Zweitens besteht der Zweck des Mindestreservesatzes in dem partiellen Mindestreservesystem darin, die Liquidität eines Eigenkapitalpuffers bereitzustellen, um das Risiko von Laufzeitinkongruenzen zu steuern. Er ist nicht ein völlig willkürliches Überbleibsel der re-kombinatorischen Weiterverpfändung. Auch hier ist die „Laufzeitinkongruenz“ in erster Linie ein Produkt der realen Wirtschaftstätigkeit, die das partielle Mindestreservesystem erleichtern soll. Liquide Reserven haben eine Laufzeit von praktisch null und einen bestimmten Wert, während illiquide Wirtschaftsprojekte, die eine Fremdfinanzierung erfordern, eine längere Laufzeit und einen unbestimmten Wert haben, der von der wirtschaftlichen Unsicherheit der realen Welt abhängt. Angesichts des Fehlens dieser Primitive ist unklar, was der Zweck der ähnlichen Konstruktion ist.

Und schließlich gibt es in dem partiellen Mindestreservesystem einen Kreditgeber der letzten Instanz in Form einer Zentralbank. Das ist nicht nur eine schlechte Sache und nicht nachahmenswert, sondern das, was Bitcoin behebt. Es ist nicht einmal wirklich möglich, dieses Umfeld zu imitieren. Infolgedessen wird die Rolle von Pseudo-Eigenkapital-Emissionen übernommen, um den Eigenkapitalpuffer zu erhöhen, was hier auch nicht wirklich Sinn ergibt. Dies geschieht in Form von zusätzlichen – im Wesentlichen zentralisierten – Verbriefungen und zusätzlichem Primärkapital von Investoren.

II) Systemische Fragilität

Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil des Ökosystems durch Ether und andere ähnliche Vermögenswerte „besichert“ ist, von denen einige selbst neue Token generieren, und angesichts der Tatsache, dass es keine klare Verbindung zu Beständen an wirtschaftlich produktiven Vermögenswerten gibt (trotz der weit verbreiteten Verbriefung, sind die zugrundeliegenden Cashflows bisher nicht verbrieft worden), besteht ein Bedarf an echtem, externem Kapital, das als Rückhalt für den Wert fungiert. Berücksichtigt man die erwartete „Rendite“, die dieses Kapital anstrebt, so besteht wohl auch ein Bedarf an ständig neuem Kapital. Bei Kryptowährungen gab es bereits große Verluste, aber das Ausbluten wurde immer durch die Zufuhr von frischem Kapital gestoppt. Wir vermuten, dass dies größtenteils auf das günstige Kapitalumfeld auf der ganzen Welt zurückzuführen ist, und, vollkommen ironisch, auf den Rückgang der realen Renditen bei alternativen Allokationen, dies  werden wir aber in Abschnitt 4 ausführlicher behandeln. Wenn man sich ohnehin auf die Anlagehypothese einlässt, dann scheint ein Drawdown von mehr als 40 % innerhalb von 24 Stunden, wie er beispielsweise bei Ether im März 2020 zu beobachten war, eine hervorragende Gelegenheit zu sein, um bei Preisschwäche zu kaufen.

Im Folgenden werden wir darüber spekulieren, was auf einen ähnlich dramatischen Preisverfall von Ether heute oder in der kurz- bis mittelfristigen Zukunft folgen könnte und was dies für die Gesundheit und den Wohlstand des Ökosystems insgesamt bedeuten könnte. Wir sollten von vornherein betonen, dass das, was folgt, in keiner Weise wissenschaftlich ist, noch ist es eine Vorhersage, von der wir behaupten, dass sie vorherbestimmt ist. Wir geben bereitwillig die offensichtliche Kritik zu, dass es sich um reine Spekulation handelt. Das ist richtig. In der Tat haben wir in Erwägung gezogen, stattdessen eine historische Analyse vorzunehmen, aber wir sind (natürlich nach reiflicher Überlegung) zu dem Schluss gekommen, dass kein Zeitraum und keine Daten ausreichen, da das, worüber wir hier spekulieren, bis heute nicht eingetreten ist. Was uns interessiert, ist, dass das Gedankenexperiment eine Möglichkeit bietet, das Ausmaß der systemischen Fragilität besser einzuschätzen, die unserer Meinung nach durch die nicht allgemein wahrgenommenen Kombinationen von Weiterverpfändung, Hebelwirkung und Verbriefung verursacht wird, die im obigen Unterabschnitt beschrieben wurden.

Was wahrscheinlich auf einen ausreichend großen Absturz des Ether-Preises folgen würde, ist, dass Protokolle wie Curve und andere mehr „Sicherheiten“ verlangen, die gestellt werden müssen, oder dass Kredite automatisch geschlossen werden. Sobald dieser Prozess beginnt, würden Curve-Token, die anderweitig besichert werden könnten, wahrscheinlich anfangen, an Wert zu verlieren. Während dieses „Ausbluten“ abläuft, ist es natürlich (und entspricht der jungen Geschichte des Raums), dass einige Zwangsverkäufe von Marktteilnehmern zu erwarten sind, die ansonsten glaubten, ihre besicherten Positionen seien relativ sicher. Mit diesem erzwungenen Verkauf von CRV und anderen Token würden wir erwarten, dass der „festgelegter Gesamtwert“ (Total Value Locked) und viele andere Metriken, die zur Beschreibung des „Wertes“ der Netzwerke verwendet werden, sprunghaft zu fallen beginnen. Dies wiederum würde den wahrgenommenen Wert der Netzwerke sowie den tatsächlichen Wert der zuvor eingebrachten Vermögenswerte untergraben, was dazu führen würde, dass alles, wofür ihre verbrieften „Governance“-Token als Sicherheit verwendet wurden, ebenfalls Gegenstand verschiedener Liquidationen und Nachschuss-Forderungen wäre.

Wenn diese Liquidationen und Sicherheiten-Forderungen das Ökosystem durchdringen, gibt es nur zwei Möglichkeiten, das Ausbluten zu beenden. Entweder müsste fast die gesamte Verschuldung im System ausgelöscht werden, was natürlich einen katastrophalen Rückgang des Gesamtwerts bedeuten würde, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Pseudo-Verschuldung global existieren kann, ohne dass sich jemand lokal dessen bewusst ist. Die Alternative besteht einfach darin, dass mehr Kapital in diese Vermögenswerte fließt als durch die Zwangsverkäufe im Rahmen der Liquidationen. Es lohnt sich auch, über die praktischen Aspekte des Zuflusses von neuem Kapital nachzudenken. Es ist möglich, dass dies einfach die Form eines Kaufdrucks annimmt, um dem erzwungenen Verkaufsdruck entgegenzuwirken; es ist aber auch möglich, dass die Käufe von neu geprägten Vermögenswerten getätigt werden und somit die durch den Zusammenbruch der Hebelwirkung freigesetzte Liquidität sofort in neue Hebelwirkung umgewandelt wird. Dies würde sich natürlich in verstärktem Maße auf die genannten – und in Unterabschnitt III.) kurz zu kritisierenden – Bewertungskennzahlen auswirken und könnte dazu beitragen, einer ebenfalls kollabierenden Darstellung entgegenzuwirken, sollte dies ein mitbestimmender Faktor sein.

In gewissem Sinne lässt sich dies alles ohne weiteres als eine Spirale des Schulden-Zusammenbruchs verstehen. Wäre das alles, könnte man unsere bisherige Analyse als uninteressante Panikmache abtun, denn natürlich kann jeder Kredit ausfallen, und jedes fremdfinanzierte Finanzsystem birgt daher Risiken. Aber das ist nicht unser Punkt. Es ist nicht interessant, dass die Schulden kollabieren könnten, sondern wie sie kollabieren könnten, und was ein solcher Zusammenbruch über die Mechanismen des Systems enthüllen könnte.

Es gibt zwei Faktoren, die in diesem Szenario vielleicht nicht übereinstimmen und die dem Leser vielleicht aufgefallen sind:

  1. was der Rettungsanker (backstop) wirklich ist, wenn man bedenkt, was der Wert wirklich ist, und
  2. wie irrelevant die Ursache des Zusammenbruchs für seine Folgen zu sein scheint.

Während Tolstoi sehr wohl wusste, dass jeder unglückliche Schuldenkollaps auf seine eigene Weise unglücklich war, haben „normale“ Schulden-Zusammenbrüche zumindest gemeinsam, dass die Erwartungen an die künftige Rentabilität (das heißt die reale Rendite) sich als zu optimistisch erwiesen haben und nach unten korrigiert werden. Die Anpassung bedeutet, dass sowohl die Finanzierungskosten als auch die Anfälligkeit der Kapitalstruktur, die in optimistischeren Zeiten aufgebaut wurden, nicht mehr aufrechterhalten werden können. In diesem Fall gibt es aber gar keine reale Rendite, so dass dies weder der Auslöser noch der Rettungsanker sein kann.

Um I.) oben abzuhaken: Der Wert wird hier von allen Beteiligten als die Komplexität der Weiterverpfändung, der Hebelwirkung und der Verbriefung verstanden, der geschaffen wurde! Was ist die Prahlerei über die Schaffung von „Geld-Legosteinen“, wenn nicht eine Feier dieser Komplexität, unabhängig davon, was die Komplexität entweder repräsentiert oder auf fundamentaler Ebene erreicht? Der Rettungsanker kann natürlich nicht sein, dass der zugrundeliegende reale Wert zu einer angemesseneren Kapitalstruktur kommt, sobald genügend Schulden, die er vorher nicht tragen konnte, getilgt wurden, denn hier sind die Schulden der Wert! Wenn Schulden zusammenbrechen, bricht auch das Wertangebot zusammen. Perverserweise ist Krypto konzeptionell umso nachhaltiger, je mehr Schulden es gibt – was eindeutig im Widerspruch zu seiner finanziellen Stabilität steht und unserer Meinung nach keine Lösung hat. Das alles bedeutet natürlich, dass frisches externes Kapital der Rückhalt ist. Das war schon immer so und wird wahrscheinlich auch immer so bleiben.

Was II) betrifft, so ist der Auslöser, wie sich der Leser erinnern wird, einfach ein Preisverfall. Wenn es sich bei dem fraglichen Preis um eine Verbriefung von Rechten an dem Produkt all dieser Hebelwirkung handeln würde, könnte die Mechanik vergleichbar erscheinen, aber der bei weitem wahrscheinlichste Auslöser ist ein Rückgang des Ether-Preises. Und wenn dies kein spezifischer Auslöser ist, so steht er wahrscheinlich an erster Stelle in der Warteschlange der Konsequenzen und wird daher schnell zu einem sich verstärkenden Auslöser. Aber was ist Ether selbst? Warum hat es einen Wert?

Dies ist die Wurzel dessen, was wir für eine schwere philosophische Unstimmigkeit halten. Ether ist (angeblich) das Recht, dezentralisierte Berechnungen in Anspruch zu nehmen. Um die Verbindung noch deutlicher zu machen, ist es das Recht, eine Krypto-Anwendung zu betreiben. Sein Preis spiegelt sicherlich wieder, „wie viel das Betreiben einer Krypto-Anwendung wert ist“, also ziemlich tautologisch? Um die konzeptionelle Verbindung zu Abschnitt 1 zu erzwingen, hat dieses Recht also einen Wert, weil die dezentrale Rechenressource, die zur Erstellung der Ethereum Timechain beiträgt, selbst knapp ist, weshalb dieses „Recht“ einen Markträumungspreis haben sollte.

Handelt es sich dabei nicht um eine Art Betriebsausgabe? Oder sollten sie es zumindest sein? Was sollte das mit der Solvenz des „dezentralen Finanzunternehmens“ zu tun haben, auf dem es läuft? Eine strenge Analogie wäre hier so etwas wie eine Bank, die nicht nur ein Büro und eine Stromrechnung hat, sondern auch beschließt, ihren Verschuldungsgrad an den Preis zu koppeln, den sie für den Großhandel mit Strom oder für ihre Miete zahlt. Und nur um es zu verdeutlichen, verlangt die Analogie, dass wir die einzige Möglichkeit ausschließen, wie dies ökonomisch sinnvoll sein könnte: Wir gehen nicht davon aus, dass die Verknüpfung zustande kommt, weil die Miete einen hohen Anteil an den Kosten der Bank ausmacht, sodass es bei schrumpfenden Gewinnspannen für die Bank klug ist, ihr eigenes Risiko zu reduzieren. Genau das Gegenteil ist der Fall! Steigende „Kosten“ sind eine gute Sache und sinkende Kosten sind eine schlechte Sache! Ein Kreditnehmer könnte also einen Margenausgleich erhalten, und zwar nicht wegen der Finanzierung – seiner eigenen oder der der Bank – sondern nur, weil die Rechnungen der Bank gesunken sind! Die perverse Rechtfertigung könnte in etwa lauten: Die Bank muss nur so und so viel Gewinn machen, und da jetzt mehr Gewinn erwartet wird, können einige ausstehende Kredite gekündigt werden.

Die Argumentation, die uns in dieser Analogie aufgezwungen wird, ist eindeutig absurd. Aber was ist mit dem Basisfall, den wir mit der Analogie zu verdeutlichen versuchen? Ist er ebenfalls absurd? Um ehrlich zu sein, denken wir, dass dies der Fall ist. Das ist der paradoxe Kern all der verbrieften Werte, die auf etwas anderes und aufeinander verweisen, ohne dass es eine reale wirtschaftliche Produktivität gibt. Die finanzielle Gesundheit des Ökosystems hängt vom Preis eines Vermögenswerts ab, der nur einen denkbaren Wert haben kann, da es sich um Kosten handelt, die alle zahlen müssen, um daran teilzunehmen. Aber heißt das wirklich mehr, als dass der Wert davon abhängt, dass alle denken, dass er einen Wert haben sollte? Wir glauben nicht, dass es so ist.

Bitcoin passt wohl auch auf diese Beschreibung, aber wir haben in Abschnitt 1 erklärt, dass es einen sehr guten Grund für die Menschen gibt, dies überhaupt zu glauben. Oder besser gesagt: Es gibt einen guten Grund für die Menschen zu glauben, dass andere Menschen glauben werden, dass Bitcoin einen Wert hat. Kryptowährungen scheinen diese philosophische Stütze nicht zu haben, und deshalb glauben wir, dass Kryptowährungen unglaublich systemisch anfällig sind. Was bringt dieser perverse Mechanismus zur Rechtfertigung von Wert an diesem Punkt hervor? Gibt es irgendeinen Grund, nicht mit einem katastrophalen Absturz zu rechnen, es sei denn, er wird, wie oben wiederholt angedeutet, durch frisches Kapital abgewendet?

Neue Anleger, die mutig genug sind, in schlechten Zeiten zu kaufen, werden gezwungen sein, sich genauer anzusehen, welchen „Wert“ sie tatsächlich erwerben. Wie in diesem Artikel bereits erwähnt, sind wir der Meinung, dass der „Wert“, den Anleger in dieser Zeit in diesen Vermögenswerten sehen werden, weitaus geringer sein wird als das, was heute wahrgenommen wird, wenn sie nicht einfach auf dem hohen Beta-Anteil mitfahren können. Dieses Szenario bedeutet nicht notwendigerweise das „Ende der Kryptowährungen“, sondern vielmehr einen Reset der Erwartungen und Überzeugungen, der wichtige Fragen darüber, wie das Ökosystem strukturiert ist, an die Oberfläche bringen wird.

Es wird faszinierend sein, zu sehen, wie die leidenschaftlichen Krypto-Anhänger in solchen Zeiten ihre Argumente vorbringen. Diejenigen, die während und nach einer Massen-Liquidation im gesamten Ökosystem noch Überzeugungen haben, sollten zumindest angehört und diskutiert werden, da sie wahrscheinlich die Nachdenklichsten sind. Um Abschnitt 5 vorwegzunehmen: Unsere Vorhersage ist, dass sich die Aktivitäten zu einem solchen Zeitpunkt auf die dann ausgereifteren höheren Schichten von Bitcoin verlagern werden. Der Grund dafür ist wiederum, dass wir nicht glauben, dass das Konzept des dezentralisierten Finanzwesens fehlerhaft ist, sondern nur diese Ausprägung. Diese Ausprägung könnte man sich so vorstellen, dass sie „die Tatsache, noch nicht ausgefallen zu sein“ als toxisch selbstreferentielle Grundlage für die Hebelwirkung verwendet, anstatt reale Cashflows, reale Produktivität und eine reale Wertgrundlage.

III) Irreführende Metriken

Dem Leser ist vielleicht bewusst, dass trotz unserer Bedenken Schlagzeilen wie „Marktkapitalisierung“ und „eingelegter Gesamtwert“ weiter ansteigen, was scheinbar auf eine stetig wachsende Gesundheit und Nützlichkeit des Ökosystems hinweist. Steht dies nicht im Widerspruch zu unserer rhetorischen Formulierung, dass Krypto kein Finanzwesen ist? Es scheint mehr und mehr finanziell zu werden!

Leider sind wir der Meinung, dass diese Kennzahlen zutiefst irreführend sind, und wir würden weiter argumentieren, dass genau die Art und Weise, in der sie irreführend sind, heimtückisch dazu beigetragen hat, dass überhaupt mehr frisches Kapital angezogen wurde. Wie oben beschrieben, wird dieses Kapital dann weiterverpfändet, gehebelt, verbrieft, irreführend quantifiziert, damit es noch erfolgreicher aussieht als zuvor, und der Kreislauf beginnt von neuem.

Unsere These zur „Krypto-Bewertung“ ist, so kurz wie möglich, dass nichts davon Sinn ergibt. Ähnlich wie bei dem, was wir in Abschnitt 4 erörtern werden, handelt es sich um einen schwerwiegenden Kategorienfehler, der seinen Ursprung in der gedankenlosen Übertragung von Methoden aus einem Finanzbereich in einen anderen hat, ohne dass die Grundlagen der Methodik im ursprünglichen Umfeld ausreichend berücksichtigt wurden. Dies führt dazu, dass man nicht versteht, was die Methoden bedeuten und warum sie dort, wo sie anwendbar sind, wichtig sind, und dass sie dort, wo sie überhaupt nicht anwendbar sind, falsch angewendet werden.

Um diesen abstrakten Einwand zu untermauern, haben wir zwei konkrete Kritikpunkte:

  1. die doppelte Zählung von Hebelwirkungen und Weiterverpfändung bei „eingelegter Gesamtwert“ und
  2. die falsche Verwendung von „Marktkapitalisierung“.

Der erste Punkt ist leichter zu verstehen und gut kommunizierbar, und wir leihen uns ein Beispiel aus dem kürzlich erschienenen Blogbeitrag „Understanding Total Value Locked“ von Lucas Nuzzi, Antoine LeCalvez und Kyle Waters von CoinMetrics, dessen Bausteine unseren oben genannten sehr ähnlich sind, wenn auch eher typisch und weniger komplex, um eine Aussage zu treffen:

„Schauen Sie sich das folgende Beispiel an:


– Ein Nutzer zahlt Wrapped Ether (WETH) im Wert von 1.500 US-Dollar bei Maker ein und erhält dafür einen Kredit in Form von 1.000 US-Dollar in Form von DAI (Besicherungsgrad 150 %).


– Der Nutzer zahlt dann diese neu geprägten DAI sowie weitere USDC im Wert von 1.000 US-Dollar in den Uniswap V2 USDC-DAI-Pool ein. Im Gegenzug erhält der Nutzer Liquiditätsanbieter-Token, die den Anteil von 2.000 US-Dollar an der Liquidität des Pools repräsentieren.


– Der Nutzer kann diese Liquiditätsanbieter-Token dann wieder bei Maker einzahlen, um ein weiteres DAI-Darlehen in Höhe von 1.960 US-Dollar zu erhalten (Besicherungsgrad von 102 %).


Aus einer naiven Perspektive könnte der „festgelegte Gesamtwert“ wie folgt berechnet werden:

SicherheitenUS-Dollar Wert
Wrapped Ether, die den ursprünglichen Kredit besichern1500
Liquide Mittel zu Uniswap V2 (USDC) hinzugefügt1000
Liquide Mittel zu Uniswap V2 (DAI) hinzugefügt1000
Uniswap DAI/USDC LP-Token, die das neue Darlehen absichern2000
Eingelegter  Gesamtwert5500


Ein ausgefeilterer Ansatz würde jedoch nur die 1.500 US-Dollar an Wrapped Ether und die 1.000 US-Dollar an USDC als „echte“ Sicherheiten zählen, was einen festgelegten Gesamtwert von 2.500 US-Dollar ergibt. Bei diesem Ansatz würden Vermögenswerte, die Ansprüche auf andere Sicherheiten darstellen, wie zum Beispiel DAI (die als Darlehen gegen Sicherheiten geprägt werden) und Uniswap-DAI/USDC-LP-Token (die einen Anspruch auf die Liquidität des Uniswap-V2-DAI/USDC-Paares darstellen), nicht berücksichtigt.“

Weiter oben haben wir die Möglichkeit von weiterverpfändeten Sicherheiten als systemisches Risiko dargestellt. Hier wird deutlich, dass dies auch zu einer irreführenden Quantifizierung des Wertes im Ökosystem führen kann. Dies trägt zu einem Narrativ bei, das dazu dient, mehr Kapital anzuziehen und das ursprüngliche Problem noch zu verschärfen.

Der zweite Einwand, den wir vorbringen, betrifft die Bedeutung des subtilen Missbrauchs des Begriffs „Marktkapitalisierung“. Unter Marktkapitalisierung versteht man bei Aktien den Preis einer Aktie multipliziert mit der Anzahl der ausstehenden Aktien. Obwohl sie oft als Maß für die Größe eines Unternehmens verwendet wird, hat sie eine präzise praktische Bedeutung: Sie ist ein Maß für das Gesamtkapital, das erforderlich ist, um ein Unternehmen auf der Grundlage des aktuellen Aktienkurses vollständig zu erwerben. Wenn ein Unternehmen ein anderes kauft, bietet es in der Regel eine „Prämie“ über dem Schlusskurs an, zum Beispiel 20 % oder 30 %, in der Annahme, dass die Mehrheit der stimmberechtigten Aktionäre mit diesem sofortigen Gewinn aus ihrer Investition zufrieden sein wird. So stellen sich die Verkäufer den Preis für ihren Verkauf vor, aber die Käufer müssen alle Aktien kaufen, daher hat die „Marktkapitalisierung“ eine eigene Bedeutung. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Unternehmen neue Aktien ausgibt, um ein reales Projekt zu finanzieren (möglicherweise den Kauf eines Unternehmens!), sodass eine Gewährung von zum Beispiel 5 % eine immanente Bedeutung in Bezug auf den Dollarbetrag hat, den das Unternehmen aufnehmen kann. Aus diesem Grund ist die „Marktkapitalisierung“ über den bloßen „Preis“ hinaus von Bedeutung.

Es gibt keinen Grund, von „Marktkapitalisierung“ und nicht nur von „Preis“ zu sprechen. Und es gibt nicht nur keinen Grund dafür, sondern es ist wohl auch aktiv irreführend. Selbst bei regulären Aktien ist sie potenziell irreführend, weil sie eine Extrapolation ist, die nur auf dem Preis basiert, der von denjenigen realisiert wird, die bereit und in der Lage sind, zu handeln: Sie spiegelt den Clearingpreis des letzten Handels wider, der der Clearingpreis für alle Aktien sein kann sein oder auch nicht. In den meisten Fällen handelt es sich um eine vernünftige Extrapolation, da auf liquiden Märkten per Definition jeder bereit und in der Lage ist, zu handeln. Wenn der Preis also wirklich unfair wäre oder aus irgendeinem Grund nicht das widerspiegeln würde, was das Unternehmen als Ganzes nach Ansicht der Anleger wert sein sollte, würden sie dieser Intuition folgen und den Markt bewegen. Der Grund, warum Unternehmensübernahmen mit einem Aufschlag versucht werden, ist genau der, dass der Teil der Inhaber berücksichtigt werden soll, der nicht handelt und daher nicht hochgerechnet werden kann. Sie sind nicht bereit, zum Marktpreis zu verkaufen (sonst hätten sie es getan, da der Markt liquide genug ist), aber bei einem Aufschlag von 20 % würden sie es sicherlich (meistens) tun. Oder 30 %? Der ganze Sinn dieser Verhandlungen liegt darin, dass die Hochrechnung eine relevante Bedeutung hat.

Aber bei Kryptowährungen, und wohl bei allen Kryptowährungen, ist die Extrapolation irreführend, weil man nicht das Ganze kaufen kann. Was also, wenn die „Marktkapitalisierung“ auf dem aktiven, willigen und fähigen Handel von 1 % des Token-Angebots basiert? Oder 0,1 %? Oder weniger? Kann das wirklich bedeuten, dass es 10 Milliarden Dollar an Wert „im Ökosystem“ gibt? Wir bezweifeln das. Wenn Alice Bob ein Billionstel seines Stifts für 1 US-Dollar verkauft, macht das Alice nicht zum Billionär. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen der Hebelwirkung, der Weiterverpfändung und der Verbriefung, die bis zu diesem Punkt in Kennzahlen wie „festgelegter Gesamtwert“ enthalten sind. Wir sind der Meinung, dass Marktkapitalisierungen in diesem Bereich generell mit Vorsicht zu genießen sind, und das ist nicht unbedingt krypto-spezifisch – Finanzexperten sollten mit der Idee, dass Bitcoin eine „Marktkapitalisierung“ hat, genauso vorsichtig sein – aber angesichts der eben erwähnten Doppelzählung, zusätzlich zu diesem theoretischen Fehler, sollte sie hier vielleicht noch misstrauischer betrachtet werden.

Dies könnte kaum mehr als eine Kuriosität sein – oder vielleicht sogar eine von uns ausgewählte Kritik -, wenn diese Zahlen nicht häufig als Indikator für das Wachstum, die Gesundheit und in gewissem Maße für den Erfolg des Ökosystems angepriesen würden. Dies wiederum zieht das Anfangskapital an, das unserer Meinung nach wahrscheinlich notwendig ist, um einen Zusammenbruch zu vermeiden. In Abschnitt 4 werden wir die Haltung der institutionellen Anleger aus deren Sicht noch genauer beleuchten. Was wir oben dargelegt haben, ist eher aus der Perspektive des Ökosystems – warum braucht das Ökosystem neue Investoren? Der Leser tut gut daran, sich bei der Lektüre von Abschnitt 4 daran zu erinnern, dass diese beiden Perspektiven scheinbar wenig miteinander zu tun haben …

IV) Das ist kein Finanzwesen

Wir möchten noch einmal klarstellen, dass es in diesem Abschnitt weder darum geht, das Krypto-Ökosystem ganzheitlich zu erfassen, noch darum, Fehler um ihrer selbst willen herauszupicken, sondern vielmehr darum, die Aufmerksamkeit auf die vielen Facetten und die vielen Konsequenzen eines einzigen, schwerwiegenden Fehlers zu lenken: dass es sich nicht um echtes Finanzwesen handelt. Ihre Grundlage ist wirtschaftlich grundsätzlich fragwürdig, da sie weder auf Spot-Bewertungen noch auf Renditen beruhen kann. Es kann keine Spot-Bewertungen wie bei Bitcoin geben, weil die Schlüsselinnovation, die es Bitcoin ermöglicht, einen emergenten und endogenen Wert zu realisieren, im Prozess der Schaffung dieser Vermögenswerte entfernt wurde. Es kann keine Renditen geben, weil die „Renditen“, die generiert und oft zitiert werden, von der Hebelwirkung, der Weiterverpfändung und der Verbriefung herrühren und nicht von Verbindungen zu produktivem Kapital. Der Wert, den es unbestreitbar gibt, ist das Derivat des Primärkapitals, das nur in komplexere Manipulationen seiner selbst „eingesetzt“ wird und nicht in reale Investitionen, also nicht in die Finanzwelt, weitervermittelt wird.

Ein Finanz-Ökosystem, das auf Produkten mit Wertversprechen (und in den Stablecoin-Fällen tatsächlichen Werten) beruht, die sich nicht auf Bestände an produktivem Kapital und die von ihnen erzeugten Ströme beziehen, sondern vielmehr aufeinander verweisen, kann nicht als eine Art brillantes neues Design gerechtfertigt werden. Es handelt sich lediglich um Hebelwirkung auf Hebelwirkung, Weiterverpfändung auf Weiterverpfändung und Verbriefung auf Verbriefung. Manchmal werden die gehebelten Aktiva weiterverpfändet, und manchmal werden die weiterverpfändeten Aktiva gehebelt. Manchmal werden die Forderungen an Produkte aus gehebelten und weiterverpfändeten Vermögenswerten verbrieft, und manchmal werden die Verbriefungen als „Sicherheiten“ für eine weitere Hebelung verwendet. Aber diese undurchsichtige Komplexität ist ein Fehler, keine Besonderheit. Erschwerend kommt hinzu, dass der „reale Wert“, der hinter diesen Vermögenswerten steht – sogar hinter den ursprünglichen Sicherheiten – selbst unklar ist.

Lyn Alden hat dies in ihrem ausgezeichneten Artikel „An Economic Analysis of Ethereum“, den wir zusätzlich zu unserem eigenen Artikel sehr empfehlen, gut zusammengefasst. Ähnlich verhält es sich mit der Beobachtung, dass es eine Menge „finanzieller“ Aktivitäten auf Ethereum zu geben scheint, genauer gesagt: Es ist das, was man bauen würde, wenn man versuchen würde, das Finanzwesen zu replizieren, indem man es nur betrachtet, aber nicht wirklich versteht, was der Sinn des Ganzen ist:

„Ethereum wird in großem Umfang für den dezentralen Austausch von Krypto-Token, Krypto-Stablecoins, die als liquide Rechnungseinheiten für den Handel mit Krypto-Token dienen, sowie für das Verleihen und die Verzinsung von Krypto-Token verwendet, was als Liquiditäts-/Kreditquelle für Händler von Krypto-Token dient. In geringerem Maße wird es auch für spielerische Möglichkeiten genutzt, um verschiedene Krypto-Token zu verdienen oder zu handeln.

Es handelt sich also um ein großes Betriebssystem, das von Krypto-Token angetrieben wird, mit dem Ziel, Krypto-Token zu bewegen.

Ein gesundes Bankensystem in der realen Welt würde darin bestehen, dass Menschen Geld einzahlen und die Banken verschiedene Kredite für Hypotheken und zur Unternehmensfinanzierung vergeben, um einen realen Nutzen zu erzeugen.

Ein spekulationsbasiertes Bankensystem hingegen würde aus einer Reihe von Banken bestehen, die Einlagen entgegennehmen und dann Kredite an Spekulanten an der nahegelegenen Börse vergeben, zusammen mit Technologieanbietern, die dies erleichtern, und dann besteht das, was diese Spekulanten handeln, hauptsächlich aus Aktien dieser Banken, Aktien dieser Technologieunternehmen und Aktien der Börse, was zu einer großen zirkulären Spekulationsparty führt. Der bisher größte Anwendungsfall für Ethereum ist eine dezentrale Version dieses auf zirkulärer Spekulation basierenden Systems.“

Wir sind nur nicht damit einverstanden, dass Ethereum nicht richtig „dezentralisiert“ ist, aber das haben wir bereits behandelt …

Der Leser könnte sich fragen, ob all diese Kritik nicht auch auf Bitcoin zutreffen könnte? Es gibt mehrere Teile dieser Antwort, von denen wir einige bereits implizit angesprochen haben, und einige, auf die wir später in diesem Beitrag eingehen werden. Die einfachste Antwort wäre, dass die Basisschicht von Bitcoin nur versucht, Geld zu sein, und nichts anderes. Wir werden in Abschnitt 5 ausführlicher erläutern, dass wir davon ausgehen, dass ähnliche „Krypto“-Werkzeuge und -Ökosysteme auf Bitcoin aufbauen werden, dass aber genau diese Verankerung in realen Werten sie sicherer machen wird. Wir könnten sogar noch weiter gehen – und dabei unsere philosophische Verteidigung der Innovation des Proof-of-Work, der Schwierigkeitsanpassung und des wirklich verteilten Konsenses, den sie ermöglichen, weiter untermauern – indem wir argumentieren, dass „Geld“ ein endogener und emergenter Anwendungsfall der Bitcoin Timechain ist, und dass dieser emergente Wert letztlich davon abhängt, ob die Nutzer mit den Sicherheitskosten zufrieden genug sind, um sie weiterhin zu bezahlen. Daraus ergibt sich natürlich unsere Verbindung zum „realen Wert“: ein zensurresistenter, integritätsgesicherter, frei verfügbarer Wert, der einem verteilten Kassenbuch innewohnt ist es wert, mit Zeit und Energie bezahlt zu werden, und deshalb tun es die Leute. Bei Bitcoin deutet letztlich alles auf Proof-of-Work hin.

Wenn sich der Versuch, der obigen Analyse und Erklärung im wirklichen Leben zu folgen, leider als zu verwirrend erwiesen hat, können wir alternativ eine hypothetische Altcoin-Bewertung mathematisch wie folgt modellieren: Sei n eine natürliche Zahl, die diskrete Zeitschritte im Modell bezeichnet. Dann seien i, j und k natürliche Zahlen, die sich auf Krypto-Token beziehen, die sowohl DFi(n) als auch VCj(n) wie folgt indizieren: DFi(n) bezieht sich auf die Bewertung des Krypto-Tokens i zum Zeitpunkt n, die durch eine primäre Kapitalerhöhung zur Stützung des Vermögenspreises auf dem offenen Markt ermöglicht wird. VCj(n) bezieht sich auf den Kapitalfluss an den Risikokapitalgeber, entweder primär oder sekundär und entweder positiv oder negativ, je nachdem, ob Kapital in den Markt eingespeist oder als „Rendite“ aus dem Markt genommen wird.

Wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Krypto „Bewertungen“ auf der Grundlage des Wertes „gerechtfertigt“ sind, der in anderen Krypto-Vermögenswerten gebunden ist, die sie nominell entweder verwahren und weiterverpfänden oder über die sie einige „Governance-Rechte“ beanspruchen (das heißt bei denen es sich um Verbriefungen handelt), sollte man das folgende (nicht ganz ernst gemeinte) Modell in Betracht ziehen:

DFj(n+1): eine primäre Kapitalerhöhung zur Erleichterung einer sekundären Transaktion VCj(n+1) mit einem Bewertungsaufschlag, der durch die Weiterverpfändung/(Weiter-)Hebelung von verwahrten/verbrieften „geregelten“ Vermögenswerten gerechtfertigt ist, deren Papierwert auf dem Marktpreis basiert, der durch den Handel am offenen Markt im Anschluss an DFk(n) für j≠k ermittelt wird.

mit:

∀i: VCi(0) = DFi(0) = Wert des i-Tokens beim Start > 0

∀i: ∀n ≥ 1 : VCi(n) < 0

und, ∀i: ∀n ≥ 1 : (1+ ( -VCi(n) / VCi(0))) ^ (1/Jahre) – 1 = IRR(VCj) = ~ eine Bajillion %

(graphische Darstellung unten zu sehen)

Abbildung 2: Cartman LARPing als „Krypto-VC“

Als abschließende Metapher, die leichter zu verstehen ist als eine Flut von quasi-satirischer mathematischer Logik, und von der wir denken, dass sie, soweit sie geht, immer noch genau genug und hoffentlich hilfreich ist, betrachten Sie das folgende Modell der Krypto-Finanzierung:

Risikokapitalgeber bauen einen Jenga-Turm und steuern 100 Jenga-Steine bei. Sie werden in Höhe von 100 investiert. Dann beginnt ein iteratives Spiel, bei dem die Risikokapitalgeber 1 Block von einem beliebigen Ort nehmen, während der Privatsektor 2 Blöcke ausschließlich an der Spitze des Turms hinzufügt. Wenn die VCs, sagen wir, 20 Blöcke aus der gesamten Struktur genommen haben, haben sie eine Papier-Rendite von 20 %. Natürlich handelt es sich dabei nur um eine „Papier-Rendite“, denn im Gegensatz zu einer realen Rendite eines realen Vermögenswerts gibt es absolut keinen Grund zur Annahme, dass der Nennwert des Kapitals gesichert ist. Schließlich, wenn die „Renditen“ beeindruckend genug sind, um sie zu rechtfertigen, bringen die VCs viel mehr Primärkapital auf, das dieses Mal in den Boden geht, um die Struktur zu untermauern. Das bedeutet, dass das Spiel noch länger weitergehen kann, aber viel mehr als das wird nicht erreicht.

Beim Jenga geht es darum, nicht derjenige zu sein, der den Turm zum Einsturz bringt – denn er wird schließlich einstürzen. Auf die Gefahr hin, noch mehr Metaphern zu verwenden, gleicht das Ganze eher dem Reise-nach-Jerusalem Spiel (musical chairs): Es gibt mathematisch gesehen nicht genug für alle, um ganz zu sein, geschweige denn eine „Rückkehr“ zu erreichen, aber solange die Musik noch spielt, scheint es niemanden zu kümmern. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass das heutige Krypto-Spiel ein wenig komplizierter ist: Es geht darum, eine Nicht-Papier-Rendite zu erzielen, indem man mehr Jenga-Blöcke entnimmt, als man eingezahlt hat … bevor die Musik irgendwann aufhört und der Turm zusammenbricht. Um es klar zu sagen: Keiner dieser „Türme“ ist auf die Art und Weise zusammengebrochen, auf die wir jetzt anspielen, aber wir vermuten, dass dies daran liegt, dass weiterhin Kapital hineinfließt, und dass, falls oder wenn dies aufhört, wahrscheinlich Zusammenbrüche folgen werden.

Auch wenn manches davon unseriös erscheinen mag, haben wir unser Bestes getan, um so genau zu sein, dass der Leser einen Eindruck von der typischen Konstruktion in diesem Raum bekommt. Der Wert, um den es hier geht, ist eindeutig spekulativ – selbst die Befürworter würden das sicher nicht bestreiten -, aber es scheint merkwürdig wenig darüber nachgedacht worden zu sein, warum ein spekulativer Wert überhaupt zustande kommt. In diesem Fall wird darüber spekuliert, dass etwas aufhört, spekulativ zu sein und real wird. Das Problem ist, dass dies ein und dasselbe ist:

Ohne die Verbindung zu realen Vermögenswerten und ohne den bloßen Zufluss von frischem Kapital als Rückhalt bleiben wir ernsthaft besorgt über die wahre Gesundheit dieses Ökosystems. Und natürlich ist, wie in Abschnitt 2 erörtert, jede Verbindung zu realen Vermögenswerten unseres Erachtens ein unannehmbar riskanter und grenzwertig kostspieliger Missbrauch dieser Technologie im Vergleich zu dem, was mit normalen Berechnungswerkzeugen erreicht werden kann.

Wir können dies sogar noch weiter treiben, indem wir die Diskussion auf die Abschnitte 1 und 2 zurückführen und die Verbindung zu Abschnitt 4 herstellen: Wir glauben, dass die Spekulation in einen weiteren Teufelskreis verwickelt ist. Die Vermögenswerte selbst müssen teuer sein, um Angriffe zu vereiteln, indem sie den Treuhand-Einsatz und die Strafe für Unredlichkeit für einen potenziellen Angreifer erhöhen. Sie müssen etwas Produktives leisten, um ihre Kosten über die bloße Spekulation hinaus zu rechtfertigen (oder, wie oben, die Spekulation muss auf der begründeten Annahme beruhen, eines Tages etwas Produktives zu leisten). Aber sie brauchen auch eine hinreichende Garantie, dass sie jeden Angriff vereiteln werden, damit man vernünftig darüber spekulieren kann, dass sie eines Tages etwas tun werden.

Bitcoin muss auch seine Widerstandsfähigkeit gegenüber diesem Zyklus beweisen – aber im Fall von Bitcoin ist das Argument nicht nur einfach, sondern grundlegend für das Verständnis der einzigen Sache, die es tut und gut tut: Was es tut, ist, einen bewertbaren Spot-Wert (nicht eine Rendite) als zensurresistenten, integritätsgesicherten liquiden Wert bereitzustellen, der einem verteilten Kassenbuch innewohnt. Deshalb sind die Ausgaben gerechtfertigt, deshalb  werden Angriffe vereitelt, deshalb gibt es einen guten Grund, auf einen zukünftigen liquiden Wert zu spekulieren.5 Im Fall von Bitcoin handelt es sich eher um einen Erfolgszyklus, dank der Genialität des Proof-of-Work, der Schwierigkeitsanpassung und dem zensurresistenten und integritätsgesicherten verteilten Konsens, den sie ermöglichen.

Wenn eine Kryptowährung wahrscheinlich nicht widerstandsfähig ist, weil sie nicht dezentralisiert ist, und nicht produktiv, weil sie eher finanzialisiert als finanziert ist, was ist dann die Grundlage für die Spekulation, die sie stützt? In Abschnitt 4 versuchen wir, diese Frage zu beantworten. Sicherlich sehen die Spekulanten ihre Kapitalallokation nicht als Spekulation darauf, dass diese Spekulation aufhören wird, spekulativ zu sein. Was denken sie also? Was ist der Grund für die Investition?

Fußnoten

4. Der Leser sei daran erinnert, dass wir weiterhin „Krypto“ für diese Instanziierung und „DeFi“ nur für das Konzept sagen, um die offensichtliche Verwirrung zu vermeiden, die dies hervorruft.
5. Es gibt eine angemessene Debatte darüber, wie sicher Bitcoin ist und was genau die Bedrohungen sind, aber das liegt außerhalb des Rahmens dieses Papiers. Unsere eigene Ansicht ist, dass Skepsis zwar gesund ist, wir uns aber im Allgemeinen keine Sorgen um die langfristige Sicherheit von Bitcoin machen. Aber wir haben hier offensichtlich kein solches Argument vorgebracht, und die Leser werden nachdrücklich aufgefordert, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen.


Dies ist Abschnitt 3 der Serie „Nur die Stärksten überleben“ von Allen Farrington und BigAL auf seiner Webseite. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

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