Wie Bitcoin die Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter schützen kann

Aus dem Original “How Bitcoin Can Protect Free Speech in the Digital Age“ von Alex Gladstein, erschienen am 12. Dezember 2019aufQuillette. Übersetzt von BitBoxer, Lektorat durch stfano.


Überleg dir, was passiert, wenn du in einem Café eine Zeitung mit Bargeld kaufst. Der Verkäufer nimmt dein Papiergeld und gibt dir den Artikel. Er kennt weder deinen Namen, deine Adresse, deine Telefonnummer, deine E-Mail-Adresse noch weiß er, was du gestern gekaufst hast. Er sammelt keine Daten über dich. Bislang war dieses Maß an finanzieller Privatsphäre völlig normal.

Heute ist Bargeld dabei, zu verschwinden. Im Vereinigten Königreich werden nur noch 42 Prozent der Transaktionen mit Bargeld abgewickelt. In Amerika sind es nur noch 32 Prozent. In Schweden sind es 20 Prozent. Und in Südkorea sind es nur noch 14 Prozent. In einigen städtischen Gebieten – wie Stockholm oder Peking – sind elektronische und berührungslose Zahlungen praktisch allgegenwärtig. In einer zunehmend bargeldlosen Welt verlieren die Bürger ihre Privatsphäre und damit auch ihre bürgerlichen Freiheiten.

Wenn du ein Abonnement für ein politisches Magazin wie dieses kaufst, tust du dies fast sicher mit einer Kreditkarte oder über eine Plattform wie PayPal. Diese Zahlungsabwickler sammeln Daten über dich, die verkauft, weitergegeben, gehackt oder an eine neugierige Regierung weitergegeben werden können. Wenn du heute eine elektronische Zahlung tätigst, gibst du zwangsläufig deine Identität preis und deine Privatsphäre auf. Jedes Mal, wenn du eine digitale Transaktion durchführst, wird dein Online-Fußabdruck größer, aussagekräftiger und profitabler. Wenn ich dich ausspionieren und dein Verhalten verstehen möchte, würde ich lieber deine Kreditkarten- und Kontoauszüge einsehen als deine Konten in den sozialen Medien. Dein Finanzverhalten sagt mehr über dich aus als deine Worte.

In Hongkong müssen Demonstranten, die für die Demokratie eintreten, die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, um von zu Hause oder vom Büro zum Protestpunkt zu gelangen. Wenn Studenten ihre herkömmlichen, mit ihrem Ausweis verknüpften „octopus cards“ für die Nutzung des U-Bahn-Systems verwenden, könnten Schulverwaltungen oder Arbeitgeber ihre Daten über die Verkehrsnutzung abrufen und feststellen, dass sie zu bestimmten Protesten gefahren sind, was zu einer Bestrafung führen könnte. Deshalb standen die Hongkonger in diesem Sommer in langen Schlangen an, um mit Bargeld anonyme Fahrscheine zu kaufen. Einige nutzten das Bargeld auch zum Kauf von Prepaid-Handys und SIM-Karten, um an Telegram-Gruppen teilzunehmen, ohne ihre Nachrichten mit ihrer Identität zu verknüpfen. In diesem modernen Konflikt zwischen Autoritarismus und Demokratie spielt Bargeld zusammen mit Gesichtsmasken eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, dass die Bürger ihre Rechte wahrnehmen und ihre Regierung zur Rechenschaft ziehen.

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Was aber geschieht, wenn das Bargeld verschwindet, wie es in den kommenden Jahrzehnten der Fall sein wird? Kinder, die heute geboren werden, werden höchstwahrscheinlich in ihrem täglichen Leben als Erwachsene keine physische Währung verwenden. Papiergeld wird schließlich zu einer Kuriosität werden, zu einem Fossil aus dem vordigitalen Zeitalter. Ist in dieser sich abzeichnenden Zukunft ein globaler Finanzüberwachungsstaat unvermeidlich? Die Antwort könnte ein tragisches und sicheres Ja sein, wenn es nicht eine außergewöhnliche Erfindung gäbe.

Am 31. Oktober 2008, mitten in der weltweiten Finanzkrise, veröffentlichte eine pseudonyme Person oder Gruppe unter dem Namen Satoshi Nakamoto in einem Cypherpunk-Forum das Bitcoin-Whitepaper,in dem dargelegt wurde, dass ein digitales Peer-to-Peer-Geldsystem möglich sei. Einige Monate später, am 3. Januar 2009, brachte Satoshi die Bitcoin-Software in die Welt.

Mit dem Bitcoin-Netzwerk kannst du innerhalb von Minuten Geld an jeden auf der Welt schicken, ohne die Erlaubnis einer zentralen Behörde. Niemand – nicht einmal ein Nationalstaat wie China oder die Vereinigten Staaten – kann deine Transaktion zensieren. Die Adressen sind pseudonym, und mit der richtigen operativen Sicherheit mit der richtigen sicheren Anwendung kannst du fast so wie bei einer Bargeldtransaktion Geldmittel an andere auf eine Weise überweisen, die nur schwer mit deiner Identität in Verbindung gebracht werden kann. Du brauchst keinen Ausweis oder ein Bankkonto, um Bitcoin zu verwenden, da die Software quelloffen und ohne Genehmigungen ist. Jeder kann in diesem Moment Bitcoin von dir erhalten – alles, was er braucht, ist ein Smartphone mit Internetzugang, damit er eine Wallet herunterladen kann, die deine Transaktion empfangen kann. Stell dir eine Bitcoin-Wallet wie einen finanziellen Avatar vor.

In einer Welt, die von zunehmender wirtschaftlicher Kontrolle, Instabilität und Überwachung geprägt ist, gibt es mehr als ein paar Beispiele dafür, wie Bitcoin das Spiel verändert. In China kaufen die Bürger Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel, das resistent gegen Konfiskationen und Kapitalverkehrskontrollen ist. Zur Erläuterung: Bitcoin ist ein viel besserer Weg, um Geld unter extremen Umständen aufzubewahren, verglichen mit etwas wie Gold oder Kunst, das klobig und schwer zu transportieren ist. Dein Bitcoin wird nirgendwo physisch aufbewahrt, sondern lebt im Internet und kann nur mit deinem privaten Schlüssel abgerufen werden. Dieses Passwort kannst du auf einem USB-Stick speichern, auf ein Stück Papier schreiben oder dir sogar einprägen.

Im Iran umgehen Einzelpersonen die Sanktionen mit Bitcoin. Wenn du heute zum Beispiel in London bist und deiner Familie in Teheran Geld schicken willst, hast du angesichts der Bank-Beschränkungen nicht viele – wenn überhaupt – Möglichkeiten. Aber mit Bitcoin kannst du innerhalb von Minuten Tausende von Dollars an deine Familienmitglieder schicken, und diese können dann über die wachsenden iranischen „peer-to-peer“ Bitcoin-Marktplätze die Bitcoin, die du ihnen gerade geschickt hast, in Fiat-Währung umtauschen, um zu kaufen, was sie brauchen.

Für unabhängige Medien oder Menschenrechtsgruppen wird Bitcoin ein immer wichtigeres Mittel, um sich der Kontrolle der Regierung zu entziehen. Wenn Wladimir Putin zum Beispiel in Russland eine NGO schließen will, sperrt er deren Bankkonto. Aber er kann dich nicht daran hindern, eine Bitcoin-Zahlung zu erhalten. Ebenso wird das Bankkonto einer großen Aktivisten-Organisation in Hongkong von der HSBC geschlossen. Aber es gibt nichts, was Peking tun kann, um jemanden davon abzuhalten, die Proteste in Hongkong mit Bitcoin zu finanzieren.

Und in Venezuela haben clevere Unternehmer und Studenten Bitcoin als Rettungsanker und Ausweg aus der Hyperinflation genutzt. Einige können durch Software-Programmierung ein Einkommen in Bitcoin von Unternehmen im Ausland erzielen; andere erhalten Bitcoin von ihrer Familie in den USA und nutzen sie wie ein Sparkonto, wobei sie sich auf Websites wie „LocalBitcoins“ verlassen, um ihre Bitcoin in Bolivares umzuwandeln, wenn sie sie brauchen, um etwas zu kaufen.

Dies sind nur einige Beispiele und es werden immer mehr. In den letzten Monaten ist die Nachfrage nach Bitcoin im Libanon und Argentinien gestiegen, da diese Länder unter wirtschaftlichen Turbulenzen, hoher Inflation und Bankenkontrollen leiden. Nach einigen Zählungen ist die Türkei das Land mit dem höchsten Bitcoin-Besitz pro Kopf, wo die Bürger mit einer abstürzenden Lira und einem instabilen autoritären Führer zu kämpfen haben. Und in Palästina beginnen Einzelpersonen, auf Bitcoin zu setzen, um internationalen Handel zu betreiben und Geld von Familienmitgliedern im Ausland zu erhalten.

Es stimmt, in Amerika und Europa haben wir nicht die gleiche Art von Bankschließungen, steiler Inflation und existenziellen wirtschaftlichen Risiken. Aber Einzelpersonen und Organisationen wurden aufgrund ihrer Meinung von Zahlungsdienstleistern wie Patreon ausgeschlossen. Wenn es nicht möglich ist, seine Gedanken zu veröffentlichen und Einkommen zu erzielen, ohne die Zustimmung politischer Informationsregulatoren einholen zu müssen, wird die freie Meinungsäußerung und damit die Demokratie langsam sterben.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Bitcoin ein „Basisgeld“ ist und in direkter Konkurrenz zu anderen Basiswährungen wie Gold oder dem US-Dollar steht. So wie die Menschen Zahlungsmechanismen erfunden haben, um die Anzahl der mit diesen Währungen möglichen Transaktionen zu skalieren (Papierscheine oder Visa ermöglichten ein viel größeres Volumen des globalen Handels als Goldbarren oder Bargeld als Abwicklungslösungen der zweiten Ebene), erfinden Technologen heute Zahlungsmechanismen, um bei Bitcoin die Anzahl der Transaktionen zu skalieren, die Benutzerfreundlichkeit zu verbessern und die Privatsphäre zu erhöhen.

Eines davon ist Lightning, ein Open-Source-Softwareprojekt, das ähnliche Verschlüsselungsmethoden wie der Tor-Browser verwendet, wodurch deine Bitcoin-Zahlungen noch schwerer zu überwachen sind. Stell dir vor, dass du in naher Zukunft zu Starbucks gehst oder etwas bei Amazon kaufst, und zwar mit einer berührungslosen digitalen Transaktion, die die Endabrechnungs- und Anonymitätsmerkmale einer Barzahlung hat. Deine täglichen finanziellen Aktivitäten könnten privat sein und du könntest das Wachstum deines digitalen Fußabdrucks stoppen, wodurch es für Unternehmen schwieriger wird, dich auszuspionieren, und für Regierungen schwieriger, illegale Massenüberwachung zu betreiben. Wenn Lightning richtig ausgereift ist (ein großes Wenn, aber mit Potential), dann könnte es das digitale Bargeld zum Mainstream machen und dem Vormarsch des Überwachungskapitalismus und der staatlichen Massenüberwachung ernsthaft entgegenwirken.

Bevor du sagst: „Die Behörden würden das niemals zulassen“ – stell dir zunächst die Frage, warum sie das nicht zulassen würden? Bargeld ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Weltwirtschaft und schon heute gibt es einen weltweiten Geschenkkarten-Markt mit einem Volumen von mehreren Milliarden Dollar. Rechtlich und moralisch gesehen unterscheiden sich Bitcoin-Zahlungen nicht wesentlich von Zahlungen mit Geschenkkarten, die mit Bargeld gekauft wurden. Sei also äußerst vorsichtig, wenn Banken und Regierungen sagen, dass Bitcoin gefährlich ist, weil es für sie schwieriger ist, deine Aktivitäten zu überwachen. Schließlich waren die täglichen Transaktionen des Durchschnittsbürgers bis vor kurzem noch privat, und das war normal.

Denk mal darüber nach, wie sich dein tägliches Leben in den letzten 20 Jahren digitalisiert hat, und machen dir dann Gedanken darüber, wie sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen wird. Wenn wir in einer Welt leben wollen, in der wir Dinge kaufen, Medien abonnieren, Geld verdienen und unsere Gedanken veröffentlichen können, ohne Angst haben zu müssen, ausspioniert zu werden, dann brauchen wir eine digitale Form von Bargeld. Bitcoin ist die Grundlage für dieses System.


Dies ist ein Gastbeitrag von Alex Gladstein auf Quillette. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

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