Geld, Kapital und soziale Skalierbarket

Teil IV der Bitgenstein-Serie

Aus dem Original “Money, Capital, And Social Scalability” von Allen Farrington, erschienen am 20. Februar 2021 in der Serie “The Bitgenstein Serialization”. Übersetzt von stfano, Lektorat durch Juniormind.


Wollen wir irgendwann in der Zukunft unbedingt denselben Anteil an Zeit und Energie zurückhaben? Was ist, wenn ein Teil der Zeit und der Energie in der Zukunft weniger produzieren wird als heute? Was für eine Art von Schrott-Nutzen soll das sein?!

Bevor ich zum Fazit komme, möchte ich den wohl verheerendsten Fehler der semantischen Theorie untersuchen, um auch eine gute Grundlage für die Teile V bis IX zu schaffen. Der durch das Geld ausgelöste wirtschaftliche Wandel hat erhebliche Konsequenzen für das Geld. Eine Geldtheorie, die die Möglichkeit von Veränderungen ignoriert, macht sich selbst und ihre Anhänger blind für den interessantesten Aspekt ihrer eigenen Thematik. Ein neues Geld, das diese möglichen Veränderungen vorteilhaft ausnutzt, hat auf lange Sicht ein Ass im Ärmel, das dem Geld helfen kann, die für sich selbst erzeugte, kurzfristige Ungewissheit zu überwinden – und das alles unter dem Radar  der Semantiker.

Lasst uns zunächst darüber nachdenken, wie und warum solch ein Schrott-Nutzen entstehen könnte. Eine Naturkatastrophe ist vielleicht noch einmal ein gutes Beispiel. Wir gehen davon aus, dass dabei wesentliche Werkzeuge zerstört wurden. Nachdem unserer Traktor von einem Wirbelsturm zerstört wurde, müssen wir nun einen Pflug verwenden, der viel mehr Zeit und Energie benötigt, um die gleiche Ausbeute zu erzielen. Angesichts der Beschränkungen von Zeit und Energie müssen wir einen geringeren Ertrag in Kauf nehmen. Der Tausch unserer früheren Zeit und Energie gegen das, was wir jetzt produzieren, scheint ein schlechter Deal zu sein. Wenn auch der Pflug, die Hacke und die Grabstöcke weggespült wurden, befinden wir uns fast wieder in einem Naturzustand, in dem die Werkzeuge, die wir bräuchten, aus der rohen, unverarbeiteten Zeit und Energie selbst stammen müssen, ohne Vorprodukte als Zwischenstufe.

Wenn wir von diesem ursprünglichen Zustand ausgehen, sehen wir, dass genau dieser Einsatz von Zeit und Energie für die Herstellung von Werkzeugen nicht nur den potenziellen Ertrag erhöht, sondern auch Zeit und Energie verfügbar macht, um diesen Prozess weiterzuführen, indem diese Werkzeuge zur Herstellung noch komplizierterer Werkzeuge verwendet werden. Wir können in Erwägung ziehen, Squidgets statt nur Widgets herzustellen. Wenn wir mit Squidgets genug Zeit und Energie verfügbar machen, können wir den Überschuss auf Gwidgets umlenken. Bei so vielen produktiven Möglichkeiten, die über den direkten Einsatz von Zeit und Energie für das Nötigste hinausgehen, können wir unsere Sorgen und unseren Ärger vergessen und beginnen, uns auf die Nutzung dieser immer komplexeren Werkzeuge zu spezialisieren. In diesem Prozess der Komplexifizierung wird an einem bestimmten Punkt höchstwahrscheinlich Geld auftauchen, da die einhergehende Ungewissheit, die durch diese Komplexität umstandshalber und über die Zeit erschaffen wird, eine umgekehrte Nachfrage nach Gewissheit erzeugt, die durch Geld erfüllt wird.

Natürlich ist bei dem Prozess der Herstellung der komplexeren Werkzeuge überhaupt nicht klar, wie es sich mit dem Wert verhält. Es besteht die Gefahr, dass Zeit und Energie für ein Ergebnis verschwendet werden, das nicht produktiver ist als die bestehenden Werkzeuge oder gar nicht produktiv. Oder vielleicht ist das Ergebnis zwar produktiv, aber es wird nicht mehr wertgeschätzt. Wir können aber auch davon ausgehen, dass die Zeit und die Energie, die durch die bisherigen Werkzeuge zur Verfügung gestellt wurden, den Puffer bilden, um ein solches Risiko aufzufangen. Das könnte sich auf diese Weise offenbaren oder natürlich in Form von Geld: Wir tauschen Zeit und Energie, wenn auch indirekt, gegen Geld, das wir ansparen, um eine Experimentierphase mit der Entwicklung von Werkzeugen zu überstehen, so dass wir es uns leisten können, nicht auf das Resultat angewiesen zu sein.

Es wird jedoch eine Zeit kommen, in der die Fähigkeiten des Einzelnen so spezialisiert sind, die Werkzeuge, die wir zusätzlich bräuchten, so komplex werden und die Ungewissheit, die mit ihrer Entwicklung verbunden ist, so groß ist, dass wir uns nicht auf Einzelpersonen verlassen können, um sie zu erschaffen. Realistischerweise hat kein Einzelner das Wissen, um allein einen Traktor zu bauen (oder einen Bleistift), geschweige denn die Zeit dafür. Aber genauso könnte die kleinste Auswahl derjenigen, die über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, möglicherweise nicht gleichermaßen bereit sein, das Risiko einzugehen, dass ihre Zeit und Energie, die sie in die Erfindung eines Traktors investieren, umsonst sein könnten.

Geld kann die Welt retten: Diejenigen, die bereit sind, das Risiko einzugehen, können für den Beitrag derjenigen zahlen, die es nicht sind. Es ist so einfach, dass es banal erscheinen mag, aber man muss beachten, dass wir Geld auf eine ganz neue Art und Weise einsetzen: nicht, weil wir uns vor den Folgen der Ungewissheit schützen, sondern weil wir sie einbeziehen wollen. Die besagte Ungewissheit wird kein Zufall unserer Umstände sein – es wird alles wohl durchdacht sein. Wir wollen andere dazu verleiten, ein wirtschaftliches Verhalten an den Tag zu legen, dessen Ergebnis ungewiss ist, und zwar zu den Opportunitätskosten eines Verhaltens, das vermutlich mehr Gewissheit bringt. Eigentlich zahlen wir für die Ungewissheit mit Gewissheit.

Genauer gesagt, wir schaffen Kapital. Kapital ist nicht nur das Vorhandensein komplexer Werkzeuge oder das Geld, das ihre Erschaffung motiviert, sondern man könnte es auch als das Ausmaß betrachten, wie sich diese beiden Faktoren fließend verändern. Meiner Meinung nach hat Hernando de Soto in seinem brillanten Werk The Mystery of Capital (Das Geheimnis des Kapitals) den wahren Feinsinn des Konzepts mit Abstand am besten erfasst: „Kapital ist nicht der akkumulierte Bestand an Vermögenswerten, sondern das Potenzial, das es in sich birgt, um damit etwas neues zu produzieren. Dieses Potenzial ist natürlich abstrakt. Es muss verarbeitet und in eine materielle Form gebracht werden, bevor wir es freisetzen können“. Später fügt er hinzu: „Kapital ist auch ein ruhender Wert, so wie Energie. Um ihn zum Leben zu erwecken, müssen wir unsere Vermögenswerte nicht nur so betrachten, wie sie sind, sondern aktiv darüber nachdenken, wie sie sein könnten. Es erfordert einen Prozess, bei dem das wirtschaftliche Potenzial eines Vermögenswerts in eine Form gebracht wird, die dazu genutzt werden kann, eine zusätzliche Produktion zu starten“.

De Soto konzentriert sich auf die soziologische Bedeutung von Eigentumsrechten, die einen solchen Prozess ermöglichen. Für unsere Zwecke können wir etwas abstrakter sein und den eigentlichen Sinn von Eigentumsrechten und ihrer Funktion darin sehen, dass sie eine Gewissheit über die wirtschaftliche Relevanz bieten, die mit Geld gemessen und gegen die Ungewissheit, die wir ausnutzen wollen, eingetauscht werden kann. Geld ist ein Mittel, um uns zu motivieren, das Risiko der Opportunitätskosten in Form von Zeit und Energie für die Erkundung des Potenzials unserer Vermögenswerte in der Hoffnung auf eine noch größere Produktion einzugehen. Geld, das ein hohes Maß an Gewissheit besitzt, und komplexe Werkzeuge, die ein hohes Maß an Ungewissheit besitzen, sind beide in dem Maße Kapital, wie sie nahtlos ausgetauscht werden können.

Das Entstehen von Kapital hat mindestens drei bemerkenswerte Auswirkungen. Erstens: Je mehr Kapital wir zu schaffen vermögen – der Prozess ist risikoreich und wir können nicht garantieren, dass wir überhaupt welches schaffen -, desto spezialisierter werden wir wahrscheinlich auf individueller Ebene, was bedeutet, desto weniger wird unser Verständnis von Angebot und Nachfrage auf hilfreiche Weise über unsere eigenen Umstände hinaus und in die Zukunft erweitert. Zweitens: Je mehr Kapital wir zu schaffen versuchen, desto mehr Ungewissheit bringen wir ins  Netzwerk. Drittens bedeutet die Möglichkeit, Kapital in der Zukunft zu schaffen statt nur den Konsum zu verschieben, dass die Ungewissheit, gegen die wir uns mit Geld wappnen wollen, nicht unbedingt nur ein Risiko, sondern auch eine Chance bedeuten kann.

Da die Kapitalbildung mehr oder weniger von der menschlichen Kreativität abhängt, könnte sich jederzeit die Chance ergeben, an der Kapitalbildung teilzunehmen. Weil wir sicherstellen wollen, dass wir dazu in der Lage sind, falls oder wenn sich die Gelegenheit ergibt, erhöht sich der Nutzen des Geldes weiter, was natürlich auch die weitere Kapitalbildung ermöglicht. Aus allen drei Gründen wird die grundlegende wirtschaftliche Ungewissheit zunehmen. Das Geld, das die Voraussetzungen für die Entstehung von Kapital geschaffen hat, wird daher umso nützlicher, je mehr Kapital gebildet wird.

Geld entsteht aus Ungewissheit, Kapital entsteht aus Geld, und Ungewissheit entsteht aus Kapital. Glücklicherweise hält dieser Kreislauf in dem Maße an, wie Zeit und Energie immer wertvoller werden. Wenn Geld in dem Maße nützlich ist, wie es uns ermöglicht, dafür zu einem bestimmten Zeitpunkt Zeit und Energie in das Netzwerk zu geben, weil wir wissen, dass wir zu jedem zukünftigen Zeitpunkt den gleichen Anteil zurückerhalten können, dann sollten wir in der Zukunft auch den gleichen Anteil zurückhaben wollen. Wenn das Geld wirklich nützlich ist, wird dieses „Gleiche“ an Zeit und Energie bezogen auf den „Wert“ mehr, besser oder beides sein.

Verschiedene Formen von Geld können Eigenschaften haben, die eine nachhaltigen Kapitalbildung erleichtern oder erschweren. Daraus ergibt sich eine weitere, eher indirekte Möglichkeit, deren Nutzen zu beurteilen: Wie nachhaltig ist die Kapitalvermehrung, die auf Grundlage dieses Geldes entsteht? Wenn Geld Eigenschaften aufweist, die – aus welchen Gründen auch immer – dazu führen, dass auf wirtschaftliche Ungewissheit mit einer rücksichtslosen oder destruktiven Risikobereitschaft reagiert wird, untergräbt dies den Nutzen jeglicher Gewissheit, die von vornherein implizit garantiert wird. Dies ist ein Grund für die Annahme, dass das wirtschaftliche Netzwerk, in dem so ein Geld wirkt, im Laufe der Zeit weniger, schlechteres oder beides hervorbringen wird.

Die Tatsache, dass die Ungewissheit eine so wichtige kausale Rolle spielt, zeigt, dass das durch Geld geschaffene Netzwerk sehr viel komplexer ist als die Netzwerke, die wir normalerweise gewohnt sind, und dass seine „Netzwerkeffekte“ ebenfalls sehr viel differenzierter sind. Wenn du Facebook, Twitter, Telegram, E-Mail oder was auch immer nutzt, bist du dir der Art deiner Beziehung zu diesem Netzwerk bewusst. Es ermöglicht dir eine Unterhaltung mit denjenigen, mit denen du dich unterhalten möchtest. Darüber hinaus ist es dir egal, wie es funktioniert, und es hat auch keine wirklichen Auswirkungen auf dich. Aber bei Geld hat nicht nur die Mechanik des Netzwerks einen großen Einfluss auf deine Interaktion mit ihm, du kannst auch nicht wissen, wie es funktioniert. Überall um dich herum nehmen die Akteure des Netzwerks Ungewissheiten in Kauf, die du nicht verstehst, so dass du es nicht tun musst. Wir befinden uns wieder im Dreiecksspiel. Die Auswirkungen auf dich hängen davon ab, wie sich alle anderen verhalten, wobei sich alle anderen in der gleichen unlösbaren Situation befinden. In Money, Blockchains, and Social Scalability (Geld, Blockchains und soziale Skalierbarkeit) erklärt Nick Szabo das titelgebende Konzept der sozialen Skalierbarkeit wie folgt:

„…als die Fähigkeit einer Institution – eine Beziehung oder ein gemeinsames Unterfangen, an dem mehrere Menschen konstant teilnehmen und das durch Bräuche, Regeln oder andere Merkmale gekennzeichnet ist, die das Verhalten der Teilnehmer einschränken oder motivieren – zur Überwindung von Schwächen im menschlichen Verstand und in den motivierenden oder einschränkenden Aspekten der besagten Institution, die begrenzen, wer oder wie viele Akteure erfolgreich teilnehmen können. Bei der sozialen Skalierbarkeit geht es um die Art und Weise und das Ausmaß, in dem die Teilnehmer über Institutionen und andere Teilnehmer nachdenken und auf sie reagieren können, wenn die Vielfalt und die Anzahl der Teilnehmer an diesen Institutionen oder Beziehungen zunimmt.“

Geld bietet den Teilnehmern am Netzwerk des wirtschaftlichen Austauschs eine klare und stabile Möglichkeit, über ihre Umstände nachzudenken und darauf zu reagieren, gerade weil die Kapitalbildung aus der wachsenden Vielfalt und Anzahl der Teilnehmer folgt. Dieses Wachstum schafft eine grundlegende Ungewissheit, die die kognitiven Fähigkeiten des einzelnen Menschen übersteigt und auf die er daher nicht direkt reagieren kann. Während einfachere Netzwerke einen Wert für ihre Nutzer schaffen, indem sie Kommunikationskanäle ermöglichen, deren Einrichtung andernfalls wahrscheinlich zu kostspielig gewesen wäre, ermöglicht Geld Kommunikationskanäle, die andernfalls nicht verstanden werden könnten.

Wenn wir, wie in einem sozialen Netzwerk, wüssten, mit wem wir es beim wirtschaftlichen Austausch zu tun haben, könnten wir diese Kommunikation vielleicht mit dem einfacheren Mittel des Vertrauens durchführen als mit Hilfe des Geldes. Da wir das aber meistens nicht wissen, ermöglicht die spezifische soziale Skalierbarkeit, die durch Geld gewährleistet wird, das, was Szabo als „Vertrauensminimierung“ bezeichnet, d. h. „die Verringerung der Anfälligkeit der Teilnehmer gegenüber dem potenziell schädlichen Verhalten der anderen Teilnehmer, der Außenstehenden und der Vermittler“. Er fügt hinzu:

„Die meisten Institutionen, die eine lange kulturelle Entwicklung durchlaufen haben, wie z. B. das Recht (das die Anfälligkeit für Gewalt, Diebstahl und Betrug senkt) sowie Sicherheitstechnologien, reduzieren alles in allem unsere Anfälligkeit gegenüber unseren Mitmenschen, und das auf mehr Arten und Weisen als umgekehrt, und damit unsere Notwendigkeit, ihnen zu vertrauen, wenn man das mit unserer diesbezüglichen Verwundbarkeit vor der Entwicklung dieser Institutionen und Technologien vergleicht.“

Da Geld den wahrscheinlichen Mangel an Vertrauen überbrückt, den wir gegenüber unseren direkten Wirtschaftspartnern haben, und den gewissen Mangel an Vertrauen, den wir gegenüber der Gesamtheit eines Wirtschaftsnetzwerks haben, ist es entscheidend, dass wir dem Geld selbst vertrauen. Ein funktionierendes Geld „reduziert die Anfälligkeit gegenüber unseren Mitmenschen und damit unsere Notwendigkeit, ihnen zu vertrauen„.

Wenn es tatsächlich den Anschein hätte, als würde ein neues Geld entstehen, dann würde es so aussehen, dass sich seine Befürworter wahrscheinlich auf die Eigenschaften des Kapitals konzentrieren würden, die in der semantischen Theorie völlig fehlen. In der semantischen Theorie ändert sich das Geld in keinem nennenswerten Sinne und demnach geschieht die Kapitalbildung, wie auch immer sie geschieht. Doch in der realen Welt könnte sich das Vertrauen bei der Handhabung von Geld vergrößern oder vermindern, die Ungewissheit könnte mehr oder weniger Schaden verursachen und es könnte zu einer mehr oder weniger gesunden Kapitalbildung kommen. Ein neues Geld würde viel wahrscheinlicher entstehen, wenn es den Anschein hätte, dass alle diese Eigenschaften des etablierten Geldes immer schlechter werden. Wäre das neue Geld quelloffen und programmierbar, würde das seine Chancen sicher nicht schmälern …

Wie es aussehen würde … 

Wie würde es aussehen, wenn es tatsächlich den Anschein hätte, als würde ein neues Geld entstehen? Es würde von den jeweiligen Vorteilen der potenziellen und der etablierten Geldform abhängen, aber auch davon, wie sich die Wahrnehmung dieser Vorteile verbreitet, wie sich die Wahrnehmung dieser Wahrnehmung verbreitet und so weiter. Da die Opportunitätskosten absolut sind, kann die potenzielle Geldform nicht einfach nur ausprobiert werden, wie ein neuartiges soziales Netzwerk, sondern man muss ernsthaft daran glauben. Daher kann die Entstehung der potenziellen Form von Geld eine Zeit lang davon abhängen, wie die Individuen im Netzwerk über Geld selbst denken …

Ein Anhänger der semantischen Theorie würde die potenzielle Geldform von vornherein ausschließen. Wenn sie nicht als Tauschmittel und Rechnungseinheit fungiert, dann wird sie auch nicht die Netzwerkeffekte erzielen, um dies jemals zu tun, was bedeutet, dass sie auch keinen Wert speichern und kein Geld sein kann. Quod erat demonstrandum.

Ein anspruchsvoller Beobachter würde sich jedoch weniger für Definitionen interessieren und die Umstände des Wettbewerbs zwischen den beiden im wirklichen Leben betrachten. Er würde erkennen, dass Geld auf der Grundlage wirtschaftlicher Ungewissheit einen Wert hat und dass es umso weniger nützlich ist, je größer die Ungewissheit über seine Funktionsweise ist; dass die Nachfrage nach Gewissheit, die es im Gegenzug erfüllt, bedeutet, dass sein Wert in erster Linie aus dem wahrgenommenen Nutzen im Austausch in der Zukunft und nicht in der Gegenwart abgeleitet wird; dass es eine gesunde und stabile Kapitalbildung unterstützen sollte und dass sein Mechanismus auf vertrauenswürdige Weise echte Knappheit ohne Verwässerung beinhalten sollte.

Wenn sich der Beobachter der potenziellen Geldform annimmt, könnte er durch das Fehlen eines unmittelbaren Nutzens und die damit verbundene Ungewissheit abgeschreckt werden. Nichtsdestotrotz könnte der Beobachter den Wert der wesentlichen Vertrauenswürdigkeit des Mechanismus der potenziellen Geldform und seiner transparenten und begrenzten Verwässerung als nützliche zukünftige Gewissheit erkennen, die die Zeit und Energie respektiert, die erhalten werden sollen. Der Beobachter könnte sich durch die Aussichten auf sowie die ersten Anzeichen für eine gesunde Kapitalbildung ermutigt fühlen und feststellen, dass sich die Wahrnehmung des Nutzens der potenziellen Geldform vergrößert und dabei selbst die Größe und Stärke ihres Netzwerkes konstant aufrechterhält.

Was das etablierte System betrifft, so könnte der Beobachter sich Sorgen machen, dass man diesem hochgradig verwässernden Mechanismus überhaupt nicht trauen kann, dass die von dem System unterstützte Kapitalbildung schädigend und instabil ist, dass die Funktionsweise des Systems insgesamt höchst unsicher ist und – da sich diese Wahrnehmung zu verbreiten scheint – dass sein langfristiger Nutzen und die Größe seines Netzwerks zunehmend in Frage gestellt werden. Der Beobachter könnte argumentieren, dass das System, wie Esperanto, aufgrund seines ausgeklügelten Designs seinen Entwicklern gefallen mag, in der realen Welt jedoch fragil und schwerfällig ist, während natürliche Sprachen und natürliches Geld entstehen und sich entwickeln, um eine dezentrale Nachfrage zu erfüllen. Sie passen zu einer rauen Wirklichkeit, nicht zu einer lupenreinen Semantik. Die Tatsache, dass sich diese Designer anscheinend nicht über die Bedeutung bewusst sind, die Zeit, Ungewissheit, Wissen und Kapital für das Geld haben, könnte den Beobachter bezüglich der voraussichtlichen Qualität ihres Designs noch mehr beunruhigen.

Aber unabhängig von seiner eigenen Einschätzung der Vorteile kommt unser Beobachter nicht drum herum, dass er auch vorausahnen muss, wie andere die Vorteile einschätzen und wie deren Einschätzung der Beurteilung der Vorteile durch andere ist, und so weiter. Der Erfolg der potenziellen Geldform unterliegt genau der Ungewissheit, die ihren potenziellen Nutzen erzeugt. Dies ist nicht nur eine Abwägung in den Köpfen der Wirtschaftsakteure, sondern eine wahrscheinliche Quelle dynamischer Instabilität. Wie bei jedem Gut können wir unsere eigene Nachfrage und unser eigenes Angebot für die potenzielle Geldform in diesem Moment beurteilen, aber wir können nur eine begrenzte Einschätzung der Wertvorstellung anderer haben, sowie von unserer eigenen und die der anderen in der Zukunft – und diese Einschätzung wird schwächer, je weiter die anderen von uns entfernt sind, sowohl was die Lebensumstände als auch die Zeit betrifft. Wenn wir auf der Grundlage dieser Bewertung handeln, wird diese Entscheidung Auswirkungen haben, die sich unvorhersehbar und zeitlich ungleichmäßig auf das gesamte Netzwerk ausbreiten. Wir mögen uns der Dynamik des Netzwerks in unserem kleinen Umfeld bewusst sein, aber wir haben so gut wie keine Vorstellung von den Folgen unseres Handelns auf die Dynamik des Netzwerks als Ganzes.

Das bedeutet, wenn es tatsächlich den Anschein hätte, dass ein neues Geld entsteht, würde es wahrscheinlich extrem volatil, irrational und unvorhersehbar erscheinen. Aus der Sicht eines jeden Einzelnen wäre das auch so. Aber wir sind wieder beim Dreiecksspiel angelangt: Die Perspektive des Einzelnen sagt uns nichts. Möglicherweise sagt sie uns sogar weniger als nichts, weil sie als eine informative Momentaufnahme der Dynamik des Netzwerks als Ganzes erscheinen mag. Es mag den Anschein haben, dass diese Volatilität, Irrationalität und Unvorhersehbarkeit den Nutzen der potenziellen Geldform als Geld zunichte macht. Aber die individuelle Wahrnehmung des Einzelnen ist für das Ganze irrelevant. Wenn ein Individuum darauf reagiert, beeinflusst es das Ganze auf volatile, irrationale und unvorhersehbare Weise und damit letztlich auch sich selbst und seine spätere Wahrnehmung.

Wenn es tatsächlich den Anschein hätte, dass ein neues Geld entsteht, dann würde es meiner Meinung nach eher so aussehen, als würde es eher einer sich entwickelnden und chaotischen Erzählung folgen, als einer festen und sauberen Gleichung. Es würde langsam sein, und sporadisch. Es hätte nicht den exponentiellen Anstieg eines trendigen neuen sozialen Netzwerks, denn die Art der „Netzwerkeffekte“ wäre offen gesagt viel komplexer. Es wäre im Wesentlichen die ungleichmäßige und sich ständig verändernde Verbreitung einer konträren Überzeugung über die Natur des Geldes selbst. Kurzfristig wäre es ein (buchstäbliches) chaotisches Durcheinander, aber langfristig würde es eher auf die Vorteile dieser Überzeugung hinauslaufen.

Wenn es tatsächlich den Anschein hätte, als würde sich ein globales, digitales, solides, quelloffenes, programmierbares Geld aus dem Nichts zum Zahlungsmittel entwickeln, dann würde es wohl in etwa so aussehen.

weiter zu Teil V: Landwirtschaft und Kapital



Dies ist ein Gastbeitrag von Allen Farrington. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

Die anderen Artikel dieser Serie findest du in unserer Mediathek unter Die Bitgenstein-Serie.

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