Für einen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik

Dies ist ein Gastbeitrag von Rudi Bednarek, der exklusiv auf Aprycot erscheint. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich die des Autors und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.


In der universitären Laufbahn als Ökonom wird man bei theoretischen Einblicken in die Geldpolitik häufig mit dem 2%-Ziel und verschiedenen Definitionen zur Stabilität des Preisniveaus konfrontiert. Folgender Essay soll dazu ein paar Gedanken strukturieren und sich mit einer These beschäftigen, welche den Status Quo in ein kritisches Licht rückt.

Was ist der Status Quo? Das Preisniveau wird bemessen mithilfe eines Warenkorbs, welcher den Konsum eines durchschnittlichen Menschen widerspiegeln soll. Preise einzelner Güter werden also bemessen und mit unterschiedlicher Gewichtung in einem Index dargestellt, welcher das Preisniveau eines Währungsraumes bestimmt. Je nachdem was die statistischen Daten und die aktuelle Festlegung der Wichtigkeit eines Gutes ergeben, befinden sich in diesem bspw. Brot, Toilettenpapier oder Miete. Verteuern sich nun einzelne Güter, so steigt das Preisniveau und es gibt Inflation. Inflation wird in der modernen Volkswirtschaftslehre als Anstieg des Preisniveaus definiert. Das Phänomen der Inflation hängt also maßgeblich an der Ausgestaltung der Bemessung des Preisniveaus. Die Zentralbank, welche das Mandat innehat Preisstabilität zu gewährleisten, ist im Falle einer Veränderung nun beauftragt einzulenken. 

Wieso das 2%-Ziel? Bei Deflation, so die These, sinken die Preise mit fortschreitender Zeit, was bei den Wirtschaftssubjekten die Erwartung erzeugt, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Weil jetzt weniger Güter gekauft werden kommt es zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung und die Preise sinken weiter. Das erzeugt eine Deflationsspirale, die die Volkswirtschaft potentiell zum implodieren bringt. Deswegen sind die Währungshüter angewiesen kein Risiko einzugehen und stattdessen eine schleichende Inflation in Kauf zu nehmen, welche das Wirtschaftsgeschehen nicht zu sehr beeinflusst. Näherungsweise bleiben die Preise gleich, es gibt einen Konsumanreiz und die Wirtschaft kann wachsen. 

Die These, die ich einbringen möchte und die Anlass sein kann, die herkömmliche Argumentation etwas genauer aufzuschlüsseln, lautet: Wenn das Konzept der Stabilität des Preisniveaus sinnvoll ist und folglich geldpolitisch Preisstabilität gemessen am Verbraucherpreisindex + 2% Inflation erzeugt wird, dann schöpft die Zentralbank ceteris paribus 102% der Produktivitätszuwächse eines Währungsraums ab.

Wenn Preisstabilität gemessen am Verbraucherpreisindex plus 2% Inflation erzeugt wird, dann schöpft die Zentralbank 102% der Produktivitätszuwächse eines Währungsraums ab.

Was ist die grundlegende Argumentation? Wenn eine feste Geldmenge einer festen Gütermenge theoretisch gegenüber steht, so würde bei einer Innovation, also einer Zunahme der Produktivität, unter sonst gleichen Bedingungen, an irgendeiner Stelle der Volkswirtschaft die Kaufkraft des Geldes zunehmen. Es würde also entweder das Konsumniveau erhöht, was einer potentiellen Preissenkung gleich kommt, oder die Preise würden sinken. Wer profitiert? In erster Linie der Innovator, welcher am Markt nun einen Vorteil hat. Desweiteren jeder, der durch die Preisvergünstigung nun mehr Wohlstand genießt. 

Vernimmt nun die Zentralbank diesen Deflationsdruck, so schreitet sie aufgrund der bereits genannten Gründe ein und erhöht die Geldmenge. Wenn sie ihr Ziel erreicht, d.h. den Deflationsdruck beseitigt, so muss dies ceteris paribus bedeuten, dass das neu geschöpfte Geld irgendwo nachfragewirksam geworden ist. Es wurde also Geld leistungslos und ohne eigene Produktivität zu erhöhen, geschaffen und zentral verteilt. 

Stellen wir nun die Frage: Wo landet das Geld? Da Zentralbanken in der Regel keine direkte Staatsfinanzierung betreiben dürfen, landet das Geld am Kapitalmarkt auf Konten von all jenen, die durch die Zinssenkung und Anleihekaufprogramme profitieren. Dieses Geld liegt zu großen Teilen still und gelangt v.a. nicht an jene Stelle, an der die realwirtschaftliche Kaufkraftveränderung, also beispielsweise eine Preissenkung durch Innovation, stattgefunden hat. 

Das erklärt, warum eine Erhöhung der Geldmenge um bspw. 30% den Verbraucherpreisindex nicht um 30% steigen lässt. Die Preise von Assets am Kapitalmarkt steigen und deren Besitzer werden auf dem Papier wohlhabender. Eine Wirkung dieser Politik ist also, dass sich der potentielle (denn nicht vollständig in Konsumgüter umgewandelt) Wohlstand der Assetbesitzer immens erhöht, was Folgen auf das ökonomische Verhalten begünstigter Personen hat (insbesondere, dass ihre Risikoaffinität steigt). Ebenfalls begünstigt sind Staaten, welche durch die gedrückten Zinsen und die enorme Nachfrage nach Staatsanleihen (die von der Zentralbank als sichere Wertpapiere definiert sind) sehr günstige Finanzierungsbedingungen bekommen. Über Schulden kann der Staatshaushalt ausgedehnt werden, ohne gleichzeitig Steuern zu erhöhen.

Das Geld der Zentralbank sickert also über diese Kanäle in die Volkswirtschaft. Die Ersten, die das frische Geld nachfragewirksam machen, profitieren so lange, bis der Effekt irgendwann umschlägt. Die Preiserhöhung ist dann schwerwiegender, als der persönliche Zugewinn durch das neue Geld und man ist Netto-Verlierer. Dies ist bereits bekannt als Cantillon-Effekt.

Es erfolgt allerdings nicht nur eine Kaufkraftverschiebung, da der Prozess des in Umlauf Bringens des Geldes die Austauschverhältnisse einzelner Güter beeinflusst. Die genauen Effekte dieser Erscheinung und die damit einhergehenden Effizienzverluste, welche die Produktivitätsgewinne insgesamt wahrscheinlich verringern, sollen nicht maßgeblicher Bestandteil des Essays sein.

Wichtig ist, um zurück zur These zu kommen, dass die Umverteilung auf diese Weise nur möglich ist, aufgrund des Deflationsdrucks durch Innovation. Wäre dieser nicht existent, würde die stattfindende Ausweitung nicht gleichermaßen möglich sein. 

Das Ziel der Geldwertstabilität ist es, die Kaufkraft einer Geldeinheit mit fortschreitender Zeit zu fixieren. Im Idealzustand der Geldwertstabilisierung würde genau an der Stelle der Kaufkraftveränderung auf der Güterseite, also einer Vergünstigung eines Gutes etwa durch Fortschritt, oder einer Verteuerung durch Misswirtschaft, die Geldmenge in dem Maße erhöht oder verringert, welches die Preisveränderung ausgleicht. Die Absurdität der Verwirklichung dieses Ideals und der theoretische Aufwand derselbigen sollten offensichtlich sein. 

In der Realität wird der Geldmengenzuwachs wie beschrieben nicht an der entsprechenden Stelle alloziert, sondern über die Zentralbank in den Markt gebracht. Folglich kommt die Geldpolitik einer Abschöpfung und der zentralen Neuverteilung der Produktivitätszuwächse eines Währungsraumes gleich. Bei x% Inflation wäre es sogar eine Überabschöpfung um x%. Die Stelle des Abschöpfens ist im Vorhinein nicht antizipierbar und im Nachhinein nicht ermittelbar, da man nie wissen kann, wie stark der isolierte Einfluss von Geldmengenveränderungen oder realwirtschaftlichen Erscheinungen, wie aktuell beispielsweise der Ukrainekonflikt, auf die Einzelbestandteile des CPIs ist.

Doch ist das Konzept der Ermittlung des Preisniveaus und damit auch die Argumentation der vorangestellten These überhaupt sinnvoll?

Blicken wir für diese Frage nochmal auf die Preisbildung. Einerseits sinken oder steigen Preise, wenn Konsumenten mehr oder weniger von einem Gut wollen, oder Ersparnisse aufgelöst oder gebildet werden. Andererseits verändern sie sich, wenn Produktionspreise schwanken, etwa durch eine plötzliche Rohstoffknappheit. In Preisen verbirgt sich also die Information, wie effizient ein Gut aktuell bereitgestellt werden kann. 

Für den Einzelnen geht es nicht um die Fixierung der Kaufkraft einer Geldeinheit, sondern viel mehr um die möglichst effiziente Bereitstellung seines persönlichen Warenkorbs, welche durch die Beeinflussung der Preise von der Geldseite sogar verschlechtert wird, da man die Informationsfunktion des Preismechanismus hemmt.

Die Erhebung eines gesamtwirtschaftlichen Warenkorbes ist eine willkürliche Handlung. Sinnvoll wäre sie nur, wenn man davon ausgeht, dass alle Teilnehmer feste und ermittelbare Präferenzen haben und sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten und damit die Austauschverhältnisse der Güter nicht verändern. Dann würde der Verbraucherpreisindex das Preisniveau ausdrücken.

Das Konzept der Ermittlung eines objektiven Preisniveaus ist für die Ausgestaltung des Geldsystems weder sinnvoll noch möglich.

In der Realität verändern sich jedoch sowohl die Werturteile der Einzelnen, als auch die ökonomischen Bedingungen, unter denen gehandelt wird ständig. Deswegen ist das Preisniveau und damit zusammenhängend das Phänomen der Inflation individuell und nicht gesamtgesellschaftlich. Je nach Präferenzen des Einzelnen, haben Preisveränderungen einzelner Güter unterschiedlichen Einfluss auf die persönlichen Kaufkraftveränderungen. Der Warenkorb des CPI trifft in der Realität also auf keinen Menschen 100% zu. Folglich kann dieser von rein statistischem Interesse sein und nur volkswirtschaftliche Tendenzen aufzeigen. Man sollte diesen statistischen Durchschnitt einer Momentaufnahme eines willkürlichen Warenkorbes nicht als Anlass nehmen, einer Institution die Befähigung zu geben, fundamental in das Preissystem einzugreifen.

Das gesamte Konzept der Ermittlung eines objektiven Preisniveaus ist für die Ausgestaltung des Geldsystems also weder sinnvoll noch möglich. Meine These verdeutlicht, unter der Prämisse dass die Erhebung und Fixierung eines Preisniveaus sinnvoll ist, dass Geldwertstabilisierung Produktivitätszugewinne abschöpft und umverteilt. Außerhalb dieser Argumentation ist jedoch das gesamte Konzept in Frage zu stellen.

Was wäre, wenn die Geldmenge fixiert wäre? Widmen wir uns noch einmal dem Deflationsproblem. Ginge man davon aus, dass man Deflation nicht mit Geldpolitik bekämpfen könnte, da die Geldmenge fest ist, so würden wie beschrieben, die Preise mit voranschreitender Zeit tendenziell sinken. Langfristig würde man also von fallenden Preisen profitieren. In der aktuellen Situation gewinnen vor allem jene, die in unmittelbarer Nähe des Geldmonopols agieren und bis zum Kipppunkt des Cantillon-Effekts Geld erhalten. Unter der Annahme, dass die Argumentation der Deflationsspirale stimmt, würde bei Einsetzen des Deflationsdrucks der Konsum sinken. Dies ist jedoch nicht unbeschränkt möglich, da weiterhin ein Mindestmaß an Konsum zur Selbsterhaltung erhalten bleibt. Zwar erzeugen mit fortschreitender Zeit sinkende Preise den Anreiz zu Konsumverzicht, aber andererseits erzeugt steigende Kaufkraft den Anreiz zu Konsum. Auch unter Berücksichtigung der Überlegung, dass sich diese Effekte nicht vollständig ausgleichen, beweisen historische Zeitspannen des Goldstandards, dass die Wirtschaft nicht implodiert und unter Deflation sogar wachsen kann. Während unter inflationären Bedingungen Verschuldung und Konsum begünstigt sind, sind bei Deflation Sparsamkeit und Verzicht vorteilhaft. Dies könnte neben ökonomischen auch interessante Folgen auf gesellschaftliche und umweltpolitische Belange haben, welche ebenfalls nicht Bestandteil dieses Essays sein sollen.

Zwar erzeugen mit fortschreitender Zeit sinkende Preise den Anreiz zu Konsumverzicht, aber andererseits erzeugt steigende Kaufkraft den Anreiz zu Konsum.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man die Fixierung auf Preisstabilität nach aktueller Definition grundlegend überdenken sollte. Geldpolitik ausgerichtet nach dieser Definition vernichtet nicht alle Produktivitätszuwächse, wenngleich es womöglich negative Effekte gibt. Jedoch hat sie maßgeblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Verteilung dieser Produktivitätszuwächse, welcher sowohl unter ökonomischen als auch sozialen Gründen zu kritisieren ist. Außerdem sollte man überdenken, die angestrebte Verwirklichung eines Preisstabilitätsideals als Legitimationsgrundlage zu verwenden, um eine zentrale Institution mit der Bereitstellung des Geldes einer Gesellschaft zu beauftragen.

Für weitere Ausführungen zu diesem Thema siehe “Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik” (Ludwig von Mises 1928).


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