Die Freiheit der Werte

Wie Value-for-Value die Monetarisierung von Informationen fixt

Aus dem Original “The Freedom of Value von Gigi, erschienen zur Blockzeit 716448 auf dergigi.com. Übersetzt von DerGeier, Lektorat durch Jan-Paul.

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Das Internet hat ein Problem. Nur wenige Leute wissen, dass dieses Problem existiert, aber hey, das liegt in der Natur ernsthafter, nicht offensichtlicher Probleme: Sie sind unsichtbar bis sie es nicht mehr sind. Das Problem mit dem Internet ist, dass Informationen frei sein wollen. Und wenn etwas FREI sein will wie in Freiheit, wird es mit genügend Zeit auch frei wie im Bier. Lass es mich erklären.

Luftverschmutzung

Jeden Tag verbrauchen wir ungeheure Mengen an Daten. Jede Sekunde jeder Minute strömen Bits und Bytes durch die Reihe von Leitungen die wir alle kennen und lieben: das Internet. Wir nehmen es als selbstverständlich hin und die meisten von uns halten das derzeitige Monetarisierungsmodell – sowie alle damit einhergehenden Übel – ebenfalls für selbstverständlich. Wir halten nur selten inne und denken über die seltsame Welt der Bits und Bytes nach. Wie wunderbar das alles ist, aber auch wie fremd. Wie es unser Leben bereits verändert hat und wie es unsere Zukunft weiter verändern wird. Woher kommen die Nullen und Einsen? Wie funktioniert das alles? Und vor allem: Wer zahlt dafür? Die Bits und Bytes, die durch unsere Glasfaserkabel rasen, sind so unsichtbar wie die Luft die wir atmen. Das ist keine schlechte Metapher wenn ich so darüber nachdenke. Solange wir keine Atemprobleme haben, müssen wir nicht anhalten und jedes einzelne Molekül, das wir einatmen, untersuchen. Ebenso lange wir keine Schwierigkeiten haben digitale Inhalte zu erstellen und zu konsumieren, brauchen wir auch nicht innezuhalten und all die verschiedenen Teile zu untersuchen, die unsere Aufmerksamkeitsökonomie am Laufen halten.
Aufmerksamkeitsökonomie. Was für eine treffende Beschreibung. Wie wir inzwischen alle wissen sollten, ist das was wir konsumieren nicht umsonst, sondern wir bezahlen teuer dafür: mit unserer Aufmerksamkeit unter anderem.

Paying Attention – mit Aufmerksamkeit bezahlen

In der schnelllebigen Welt von heute muss man, um den Gewinn zu maximieren, die Aufmerksamkeit maximieren. Aber es ist eine eigentümliche, oberflächliche Art von Aufmerksamkeit. Es ist nicht die konzentrierte Art von Aufmerksamkeit, die tiefes Denken und sinnvolle Gespräche erfordern würden. Ich glaube, dass dies zumindest teilweise der Grund ist, warum viele Dinge so kaputt sind. Warum unser gesellschaftlicher Diskurs so zersplittert ist, unsere Politik so polarisiert, wir so gelähmt sind und unsere Analysen oft so oberflächlich sind wie unsere Wünsche.
Die Aufmerksamkeitsökonomie hat uns fein säuberlich in Echokammern für persönliche Wahrheiten eingeteilt. Ironischerweise besteht die einzige Wahrheit die es wert ist, in der Aufmerksamkeitsökonomie verfolgt zu werden, darin, wie man eine maximale Anzahl von Menschen für eine maximale Zeitspanne maximal empört halten kann. Und das alles ohne dass die Teilnehmer merken, dass sie in einem selbst gewählten algorithmischen Gefängnis gefangen sind.

Du bist das Produkt

Die Redewendung „Wenn etwas kostenlos ist, bist du das Produkt“ kann nicht oft genug wiederholt werden. Aus dem einen oder anderen Grund erwarten wir, dass die meisten Dinge Online „kostenlos“ sind. Natürlich gibt es so etwas wie ein kostenloses Mittagessen nicht – nichts ist umsonst. Bei Online-Diensten werden deine Daten gesammelt und an den Meistbietenden verkauft, der in der Regel eine Werbeagentur oder eine Regierungsbehörde ist. Oder beides.
Alle Big-Data-Unternehmen spionieren dich nicht nur aus, sondern nutzen auch eine Vielzahl von dunklen Mustern und unethischen Praktiken, um aus deinen Interaktionen auch den letzten Tropfen an Daten herauszuholen. Ob es sich dabei um den Facebook-Pixel, Google Analytics oder etwas anderes handelt, spielt keine Rolle. Du wirst nachverfolgt, überwacht und katalogisiert. Was du siehst, wie lange, zu welchen Zeiten, wie häufig und was du als Nächstes sehen wirst, wird sorgfältig von einem gewinnmaximierenden Algorithmus orchestriert. Profit für die Plattform, nicht für dich. Natürlich geht es in der Regel darum, dass alle davon profitieren: Nutzer, Urheber, Werbetreibende und die Plattformen gleichermaßen. Das evolutionäre Umfeld, das durch diese Anreizstrukturen geschaffen wird, führt jedoch häufig dazu, dass seichte, aufmerksamkeitsstarke und sensationslüsterne Schnipsel ausgewählt werden. Zum Zeitpunkt dieses Schreibens – Block 716.025 – ist der Inbegriff eines solchen Umfelds TikTok, eine videobasierte Dopaminmaschine, die dir das filmische Äquivalent von Heroin gemischt mit Crack zeigt. Harte Drogen für den Verstand, maßgeschneidert für deine besonderen Vorlieben. Eine wahrhaft verfluchte App. Leider unterscheiden sich die meisten dieser Plattformen nur in der Größe, nicht in der Art.

Zulässige Meinungen

„Es ist gar nicht so schlimm“, sagen wir uns. „Sieh dir all die nützlichen Informationen an!“, denken wir, während wir durch unsere Feeds scrollen, und füttern damit ungewollt die Maschine, die uns im Gegenzug mit Dopamin versorgt.
Aber täuschen Sie sich nicht: Den verantwortlichen Unternehmen geht es nicht darum, uns mit nützlichen (oder wahrheitsgemäßen) Informationen zu versorgen. Es geht ihnen darum uns auszutricksen, damit wir die Maschine füttern.
Wie könnte es anders sein? Man ist was man verfolgt, und man wird das worauf man optimiert wird. Aus Sicht der Plattform geht es um Klicks, nicht um Qualität. Auf den ersten Blick mag die Maximierung von Klicks und Verweildauer eine harmlose Sache sein. Schließlich muss man ja Geld verdienen um zu überleben. Es ist ja nur eine Anzeige. Wie schlimm kann es schon werden?
Leider sind die Probleme, die damit einhergehen, zunächst unsichtbar. So wie Krebs für den Raucher unsichtbar ist, der gerade seine erste Zigarette geraucht hat, und Leberzirrhose für den Trinker unsichtbar ist, der gerade seinen ersten Drink zu sich genommen hat, so sind Deplatforming, Zensur, Polarisierung und Manipulation der öffentlichen Meinung für den Prosumenten unsichtbar, der gerade seine erste Anzeige auf einer geschlossenen Plattform gesehen hat. Wir können uns wahrscheinlich darauf einigen, dass wir das erste Inning (Stichwort Baseball) in dieser Frage hinter uns haben. Zensur ist die Norm, Deplatforming wird bejubelt, die Polarisierung ist auf einem Allzeithoch, und die öffentliche Meinung wird manuell und algorithmisch manipuliert wie nie zuvor.
„Der Konsens ist, dass du zu dumm bist, um zu wissen was gut für dich ist und dass deine öffentliche Meinung zu unverschämt ist, um öffentlich geäußert zu werden. Schlimmer noch, es sollte gar nicht erst deine Meinung sein. Hier ist der Grund warum du falsch liegst. Hier ist eine Quelle die auf eine zulässige Meinung hinweist. Hier sind einige Experten, die mit uns übereinstimmen. Unsere intelligenten und hilfreichen Algorithmen haben die ganze Denkarbeit für dich erledigt, und sie liegen nie falsch. Genauso wenig wie die Experten.“
Das ist die Welt, in der wir bereits leben. Es ist nicht erlaubt frei zu sprechen. Es ist nicht erlaubt frei zu denken. Du darfst dich nicht frei äußern. Dein Bild ist beleidigend und muss daher entfernt werden. Dein Meme ist zu nah an der Wahrheit oder zu kriminell lustig; deshalb müssen wir dich für ein oder zwei Wochen ins Twitter-Gefängnis stecken. Du sagst etwas mit dem wir nicht einverstanden sind; deshalb müssen wir dich auf Lebenszeit sperren – auch wenn du ein amtierender Präsident bist, wohlgemerkt. Du hast in einem Video das falsche Wort gesagt oder ein urheberrechtlich geschütztes Lied im Hintergrund abgespielt; deshalb müssen wir dir dein Einkommen wegnehmen. Du hast ein Bild von dir ohne Maske gepostet; deshalb müssen wir dich verbieten und den Behörden melden.1
Die Tatsache, dass der obige Satz nicht mehr nur im Bereich der dystopischen Science-Fiction angesiedelt ist, sollte jeden beunruhigen. Aus dem Cyberspace entfernt – weil ich frei atmen wollte. Seltsame Zeiten.

Evolutionärer Druck

Wie ist es dazu gekommen? Wenn ich gezwungen wäre, eine kurze Antwort zu geben, würde ich Folgendes sagen: Wir sind von Protokollen zu Plattformen übergegangen, und Plattformen sind nur so gut wie ihre Anreize.
Die Anreizstruktur der Plattformen, auf denen wir leben, ist die evolutionäre Umgebung, die das Überleben diktiert. Alles, was überleben will, muss sich daran orientieren. Das gilt natürlich für alle Bereiche der Wirtschaft. Nimm zum Beispiel Printmagazine. Wenn deine Zeitschrift kein schönes weibliches Gesicht auf der Titelseite hat, wird sie aus sehr menschlichen evolutionären Gründen nicht so oft gekauft werden wie die Zeitschriften, die ein solches Gesicht haben. Sie kann sich also nicht selbst reproduzieren und wird folglich sterben. Ähnlich verhält es sich mit einem Online-Nachrichtenportal, wenn es keine ausreichenden Werbeeinnahmen generiert und nicht in der Lage ist sich zu reproduzieren, wird es sterben. Aus diesem Grund hat jede Zeitschrift ein schönes weibliches Gesicht auf dem Cover. Und das ist der Grund, warum jede werbefinanzierte Online-Nachrichtenquelle zu Clickbait verkommt.

Eines dieser Gesichter ist anders als die anderen

Das ist auch der Grund, warum sich Feed-basierte Empfehlungsmaschinen in Spielautomaten für deine Dopaminrezeptoren verwandeln. Je länger du an deinem Bildschirm klebst, desto mehr Werbung siehst du, desto mehr Einnahmen werden für die Plattform generiert. Das ist auch der Grund, warum die meisten YouTube-Kanäle zu 7- bis 15-minütigen Kurzvideos mit Vorschaubildern verkommen, die das Gesicht von jemandem zeigen, der gerade auf ein Legostück getreten ist. Kurz genug, um dich zu überzeugen es anzusehen, lang genug, um dich vergessen zu lassen, welches Video du dir eigentlich ansehen wolltest. Wie Ratten, die in hyperpersonalisierten Skinner-Boxen auf Knöpfe drücken, werden wir in Suchtzyklen konditioniert, um die Gewinne der Aktionäre zu maximieren.

Profitmaximierung

Plattformen sind Unternehmen und für Unternehmen gibt es Anreize die Gewinne der Aktionäre zu maximieren. Gegen Gewinne ist nichts einzuwenden und gegen Aktionäre ist auch nichts einzuwenden. Ich glaube jedoch, dass die Informationsrevolution, in der wir uns befinden, die evolutionäre Landschaft in zwei Teile gespalten hat. Nennen wir diese Landschaften „breit“ und „schmal“.
Um die Gewinne durch breit angelegte Werbung zu maximieren, müssen Kontroversen und extreme Meinungen auf ein Minimum reduziert werden. Indem man den kleinsten gemeinsamen Nenner anspricht, kommen Politik und Zensur sofort ins Spiel. Umgekehrt müssen Kontroversen und extreme Meinungen maximiert werden, wenn die Gewinne durch schmale, gezielte Werbung erzielt werden sollen. Allein dadurch, dass verschiedenen Untergruppen unterschiedliche Informationen gezeigt werden, werden Polarisierung und Fragmentierung kontinuierlich verstärkt.

Allgemeine Kohäsion vs. algorithmische Spaltung

Diese beiden Extreme sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es mag den Anschein haben, als ginge es um Kabelfernsehen gegen den algorithmischen Newsfeed, aber in Wirklichkeit handelt es sich um zwei unterschiedliche Ansätze, die dasselbe Ziel verfolgen: möglichst viele Menschen vor dem Bildschirm zu halten, damit sie mehr Werbung sehen. Das erste ist ein Beruhigungsmittel, das zweite ein Stimulans.
Zugegeben, die obige Charakterisierung mag übertrieben sein, aber das Problem bleibt bestehen: Wenn wir nicht direkt für etwas bezahlen, bezahlen wir es indirekt, auf die eine oder andere Weise. Immer.

Der Punkt ist der folgende: Plattformen für freie Meinungsäußerung können nicht existieren. Es kann nur Protokolle der freien Meinungsäußerung geben. Wenn jemand kontrollieren kann, was gesagt wird, wird jemand kontrollieren, was gesagt wird. Wenn du Inhalte überwachen, filtern und zensieren kannst, wirst du Inhalte überwachen, filtern und zensieren.

Alle Plattformen werden mit diesem Problem konfrontiert, ganz gleich wie makellos ihre Absichten sind. Selbst wenn du dich anfangs als Plattform für freie Meinungsäußerung positionierst, wirst du auf lange Sicht gezwungen sein, einzugreifen und zu zensieren. Letztendlich wenn du für Inhalte, die du hostest oder übermittelst, vom Staat haftbar gemacht werden kannst, wirst du auch für Inhalte, die du hostest oder übermittelst, vom Staat haftbar gemacht werden.

Selbstzensur

Doch lange bevor die staatliche Zensur ihr hässliches Haupt erhebt, wird die abschreckende Wirkung der Selbstzensur zu spüren sein. Wenn andere wegen der Äußerung bestimmter Meinungen enttabuisiert und dämonisiert werden, werden die meisten Menschen sehr vorsichtig sein, diese Meinungen zu äußern. Bewusst und unbewusst bringen wir uns selbst langsam zum Schweigen.

Wenn es um Selbstzensur geht, spielt auch die Werbung eine Rolle. Schließlich würdest du nicht die Hand beißen, die dich füttert, oder? Im schlimmsten Fall sagen dir die Werbetreibenden und Führungskräfte, was gesagt werden darf und was nicht. Sie werden dir sagen, welche Meinungen innerhalb und welche außerhalb des Overton-Fensters liegen. Und wenn sie es nicht tun, wirst du eine fundierte Vermutung anstellen und deine Aussagen entsprechend anpassen.

Ein Problem und ein Paradoxon

Zurück zum ursprünglichen Problem: Warum können wir Informationen nicht wie eine normale Ware verkaufen? Warum führt der einfache Ansatz – Inhalte hinter eine Bezahlschranke zu stellen – zu so schlechten Ergebnissen? Ich glaube, es gibt zwei Gründe, die ich das „MTX-Problem“ und das „DRM-Paradoxon“ nennen möchte.

Das MTX-Problem, wobei MTX die Abkürzung für „mentale Transaktion“ (mental transaction) ist, bezieht sich auf das Problem der nicht reduzierbaren mentalen Transaktionskosten, die jeder Transaktion innewohnen. Jedes Mal, wenn du auf eine Bezahlschranke stößt, musst du eine bewusste Entscheidung treffen: „Möchte ich dafür bezahlen?“

Wie Szabo überzeugend darlegt, lautet die Antwort in den meisten Fällen, insbesondere wenn die Kosten gering sind, nein. Dafür gibt es keine technischen Gründe, sondern psychologische Gründe. Es stellt sich heraus, dass die Mühe, herauszufinden, ob sich diese Transaktion lohnt oder nicht – ein Prozess, der in deinem Kopf stattfindet – einfach zu groß ist. Wenn man über einen Mikrokauf nachdenken muss, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man diesen Kauf tätigt, drastisch. Deshalb sind Flatrates und Abonnements der Renner: Man muss nur einmal darüber nachdenken.

Bei den kleinsten Mikrotransaktionen ist dies sogar aus rein wirtschaftlicher Sicht der Fall. Wenn man einen Stundenlohn von 20 USD zugrunde legt und zwei Sekunden lang darüber nachdenkt: „Ist das 21 Sats wert?“, kostet das etwas mehr als 1¢, also mehr als der Preis der betreffenden Mikrotransaktion.[2] Das ist sowohl psychologisch als auch wirtschaftlich nicht machbar. Dies ist, kurz gesagt, das MTX-Problem.

Aber das ist nicht das einzige Problem, das die Monetarisierung digitaler Inhalte belastet. Wie bereits erwähnt, gibt es auch das DRM-Paradoxon. DRM, kurz für „Digital-Rechte Management“ (Digital Rights Management), ist ein vergeblicher Versuch, das Kopieren von Informationen zu verhindern. Es sollte sich von selbst verstehen, dass nicht kopierbare Informationen ein Oxymoron sind, aber im Zeitalter von NFTs und vielem anderen Unsinn muss das leider ausdrücklich gesagt werden. Lass es mich also für dich buchstabieren: Man kann keine Informationen erstellen, die nicht kopiert werden können. Punkt. Oder, um es mit den Worten von Bruce Schneier zu sagen: „Der Versuch, digitale Dateien unkopierbar zu machen, ist wie der Versuch, Wasser nicht nass zu machen.“

Es liegt in der Natur der Sache, dass Informationen, wenn sie gelesen werden können, auch kopiert werden können – und zwar mit perfekter Genauigkeit. Kein noch so großer Trick oder künstliche Beschränkungen werden diese Tatsache ändern. Aus diesem Grund werden digitale Artefakte wie Filme und Musik immer kostenlos erhältlich sein. Es ist trivial für jemanden der Zugang zu diesen Artefakten hat, diese zu kopieren – zu Grenzkosten von nahezu Null, wohlgemerkt – und sie anderen zugänglich zu machen. Mit genügend Zeit und Popularität wird also jeder Film, jedes Lied und jedes Dokument für die
Allgemeinheit kostenlos verfügbar sein. Die Natur der Information lässt kein anderes Ergebnis zu. Daher das Sprichwort: Information will frei sein.

Obwohl der Versuch etwas zu schaffen das es nicht geben kann – Informationen die nicht kopiert werden können – an sich schon paradox ist, meine ich damit nicht das DRM-Paradoxon. Was ich meine, ist etwas viel Lustigeres. Es ist wiederum psychologischer, nicht technischer Natur. Das Paradoxon ist folgendes: Inhalte werden nur dann hinter einer Bezahlschranke bleiben, wenn sie schlecht sind. Wenn sie gut sind, wird sie jemand freilassen.

Wir alle kennen das. Wenn ein Artikel tatsächlich lesenswert ist, wird jemand, der sich hinter der Bezahlschranke befindet, einen Screenshot davon machen und ihn in den sozialen Medien veröffentlichen. Wenn der Film es wert ist angeschaut zu werden, wird er auf verschiedenen Websites verfügbar sein, die Piratenschiffe als ihre Logos haben. Wenn der Song es wert ist gehört zu werden, wird er auf Streaming-Seiten kostenlos zur Verfügung stehen. Nur die schrecklichen Artikel, die obskursten Filme und die Lieder, bei denen einem die Ohren bluten, bleiben hinter Bezahlschranken.

Daraus ergibt sich das Paradoxon: Inhalte bleiben nur dann hinter Bezahlschranken, wenn sie schlecht sind. Wenn sie gut sind, werden sie freigelassen.

Ich persönlich glaube, dass das MTX-Problem ein größeres Problem darstellt als das DRM-Paradoxon. Die traditionelle Lösung für das MTX-Problem ist das Abonnementmodell, wie bei Netflix, Spotify, Amazon und so weiter. Das DRM-Paradoxon bleibt bestehen, aber es stellt sich heraus, dass dies kein Problem ist wenn man den „legitimen“ Zugang zu Informationen bequem genug gestaltet. Die Opportunitätskosten für das Herunterladen, Speichern, Pflegen und Warten einer privaten Liedersammlung sind für die meisten Menschen einfach zu hoch. Die bequemere Lösung ist für das verdammte Spotify-Abo zu bezahlen. Allerdings können wir bereits eines der Probleme erkennen, die mit dem Abonnementmodell verbunden sind. Der folgende Comic beschreibt es gut:

Comic von /u/Hoppy_Doodle

Die Verbreitung von Streaming-Plattformen zwingt dich dazu, ein Netflix-Abonnement, ein Amazon-Prime-Abonnement, ein Hulu-Abonnement, ein Disney-Plus-Abonnement, ein YouTube-Premium-Abonnement und so weiter abzuschließen. Und das war nur das Videostreaming. Den gleichen Abo-Zoo gibt es für Musik, Bücher, Spiele, Newsletter, Blogbeiträge usw.

Und was ist die Lösung?

Akzeptiere die Natur von Informationen

Die Lösung beginnt mit Akzeptanz. Der Verkauf digitaler Inhalte auf herkömmliche, transaktionale Weise funktioniert nicht oder zumindest nicht sehr gut. Eine Transaktion mit einem digitalen Foto eines Apfels ist etwas ganz anderes als eine Transaktion mit einem physischen Apfel.

George Bernard Shaw hat es am besten gesagt: „Wenn du einen Apfel hast und ich habe einen Apfel und wir tauschen diese Äpfel, dann haben wir beide immer noch jeweils einen Apfel. Aber wenn Sie eine Idee haben und ich eine Idee habe und wir diese Ideen austauschen, dann hat jeder von uns zwei Ideen.“ Da sich digitale Informationen wie eine Idee verhalten, gibt es keinen Grund, sie künstlich zu verknappen. Das gilt nicht nur in philosophischer, sondern auch technischer Hinsicht. Computer sind Kopiermaschinen. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. Die einzige Möglichkeit, Informationen von einer Maschine auf eine andere zu übertragen, besteht darin, sie zu kopieren. Dies allein sollte die Sinnlosigkeit der Behandlung von Informationen als physische Objekte offenkundig machen.

Wenn es um die Monetarisierung von Informationen im offenen Web geht, müssen wir unsere Denkweise mit der Natur der Information in Einklang bringen. Wie oben beschrieben, sind Informationen nicht knapp, leicht zu kopieren, leicht zu verändern und wollen frei sein. Ich glaube, dass das richtige Monetarisierungsmodell diese Werte respektieren und ähnliche Eigenschaften haben muss. Es muss offen, transparent, erweiterbar und nicht zuletzt völlig freiwillig sein.

Dieses Modell hat einen Namen: Value-for-Value.

Wiederbeleben der Straßenmusik

Die Idee ist einfach, klingt aber radikal: Du stellst deine Inhalte kostenlos zur Verfügung, für jeden, ohne Zugangsbeschränkungen. Wenn die Menschen Spaß daran haben, wenn sie einen Nutzen daraus ziehen, dann machst du es den Menschen leicht etwas zurückzugeben.
Es mag in der heutigen Zeit ungeheuerlich klingen, aber dieses Modell funktioniert seit Tausenden von Jahren. Es ist das Modell der Straßenkünstler, das Modell der Straßenmusikanten, das Modell des freiwilligen Gebens. Im Cyberspace stoßen wir jedoch nicht an die physischen Grenzen der traditionellen Straßenmusikanten. Digitale Inhalte lassen sich auf eine Art und Weise skalieren, wie es bei Darbietungen in der realen Welt nie der Fall sein wird.

Das Value-for Value-Modell stellt das traditionelle Zahlungsmodell auf den Kopf. Traditionell folgt der Genuss der Bezahlung. Beim Value-for-Value-Ansatz folgt die Zahlung dem Genuss – freiwillig. Es steht dir frei, dem Straßenmusiker zuzuhören und weiterzugehen, aber – und das ist etwas was das Publikum intuitiv weiß – wenn du willst, dass die Musik weitergeht, solltest du ein paar Münzen in den Hut werfen.

Give value back

Das Schöne an diesem Modell ist, dass es die Anreize neu ausrichtet. Man versucht nicht, die Klicks, die Verweildauer oder irgendeine andere der unzähligen Kennzahlen zu maximieren. Man will dem Publikum einen Mehrwert bieten, und das ist alles. Und wenn das Publikum einen Nutzen daraus gezogen hat, wird ein gewisser Prozentsatz etwas zurückgeben. Alles, was man tun muss, ist zu fragen.

Eine wertvolle Alternative

Wir stehen erst am Anfang dieses monumentalen Wandels. Ich hoffe, dass sich das Modell „Value for Value“ weiterhin als praktikable Alternative zu Werbung, Zensur, Deplatforming und Demonetisierung durchsetzen wird.

Das Value-for-Value-Modell nimmt das „sie“ aus der Gleichung heraus. Sie filtern, sie zensieren, sie demonetisieren, sie deplatformieren. Es spielt nicht einmal eine Rolle, wer „sie“ sind. Wenn es „sie“ gibt, werden sie einen Weg finden, es zu versauen.

Value-for-Value beseitigt „sie“ und überträgt dir die Verantwortung. Du bist der Herrscher im Reich des Einen, allein verantwortlich für deine Gedanken und deine Sprache. Wenn wir Befreiung (und Erlösung) im Cyberspace wollen, müssen wir dem Einzelnen wieder die Verantwortung übertragen. Wie immer gilt: Freiheit und Unabhängigkeit erfordern Verantwortung.

In der besten aller Welten gibt es für die Schöpfer einen Anreiz, nichts anderes zu tun als zu erschaffen. Man bedient nur sich selbst und diejenigen, die an den Werken interessiert sind. Keine Mittelsmänner. Direkt, von Mensch zu Mensch, Value-for-Value.

Was uns erwartet

Zugegeben, heute ist es nicht gerade einfach, seine Infrastruktur selbst zu hosten. Es ist einschüchternd, einen eigenen Knotenpunkt (Node) zu betreiben, um Zahlungen auf selbständige Weise zu erhalten. Aber es wird nicht nur einfacher, es wird zunehmend notwendig.

Wir müssen nicht nur alles einfacher machen, sondern uns auch des oben beschriebenen MTX-Problems bewusst sein. Jeder Schritt, der es schafft, die mentalen Transaktionskosten im Ökosystem der Wertschöpfung zu reduzieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Wertfunktion von Podcasting 2.0 ist ein solcher Schritt. Sie ermöglicht und automatisiert Zahlungen im Minutentakt, ohne dass der Nutzer zusätzlich eingreifen muss. Sobald du eingerichtet bist, wird deine Geldbörse automatisch Zahlungen vornehmen. Ich glaube, dass weitere Iterationen dieser Idee in alle Medientypen integriert werden können, sei es Audio, Video, Bilder, das geschriebene Wort, und so weiter. Ich glaube, dass wir kurz vor der Protokollversion von Patreon stehen: alle Vorteile der Reduzierung der mentalen Transaktionskosten auf Null, ohne die Reibung und die Zensur, die einer plattformbasierten Lösung innewohnen. Ob es in Form von BOLT12 wiederkehrenden Zahlungen oder etwas ganz anderem kommen wird, bleibt abzuwarten. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass dies zu gegebener Zeit der Fall sein wird.

Schlussfolgerung

Nicht nur unser Papiergeld ist kaputt, auch das Monetarisierungsmodell des Internets ist kaputt. Die werbebasierten Plattformen der heutigen Zeit sind auf Engagement durch Spaltung und Polarisierung optimiert und nutzen dunkle Muster und Sucht. Es wird nicht einfach sein, aus den Zwangsschleifen auszubrechen, die für uns eingerichtet wurden, aber dank des selbstverwalteten Tech-Stacks, der derzeit entsteht, gibt es eine praktikable Alternative: das Value-for-Value-Modell.

Das „Straßenmusiker“-Monetarisierungsmodell (busking monetization model) hat in der Vergangenheit viele Jahrhunderte lang funktioniert, und dank Bitcoin und dem Lightning Network bin ich zuversichtlich, dass es auch in der Zukunft noch Jahrhunderte lang funktionieren wird. Wir sind fast am Ziel. Wir müssen nur noch herausfinden, wie wir den Hut richtig auf dem Boden positionieren und wo die besten Plätze in der Stadt sind, um sozusagen aufzutreten.

Value-for-Value löst das DRM-Paradoxon in seiner Gesamtheit und wird – mit dem richtigen Maß an Automatisierung und vernünftigen Vorgaben – auch das MTX-Problem lösen. Wenn wir das richtig hinbekommen, können wir uns vielleicht aus dem evolutionären Überlebenskampf der Plattformen befreien und uns in das quasi unsterbliche Reich der Protokolle begeben.

Es gibt viel zu erforschen, viele Werkzeuge zu entwickeln und viele vorgefasste Meinungen zu zerstören. Direkt vor unseren Augen vollzieht sich ein seismischer Wandel, und ich freue mich darauf, mit euch allen auf den Wellen zu reiten. Vorwärts marsch!


Dies ist ein Gastbeitrag von Gigi aus seinem Blog. Die geäußerten Meinungen sind ausschließlich seine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise die von Aprycot Media wider.

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